Grüne setzen weiter auf Annalena Baerbock
13. Juni 2021Der Führung den Rücken stärken, die angeschlagene Kanzlerkandidatin Annalena Baerbockunterstützen: Das war der ganz große Wunsch der 688 Delegierten des Wahlparteitages des Grünen an diesem Wochenende in Berlin. Nach mehreren Wochen mit Fehlern und Pannen im Wahlkampf folgte der weitgehend digitale Parteitag den Vorgaben der Parteispitze beim rund 130 Seiten starken Wahlprogramm.
Über 3000 Änderungsanträge
Und das, obwohl vor dem Treffen satte 3300 Änderungsanträge eingebracht worden waren. Aber ganz am Schluss wurde sogar der Antrag zurückgezogen, die Überschrift über dem Programm zu ändern. Die sollte nämlich nach Wunsch der Führung lautet: "Deutschland. Alles ist drin." Und nicht wenige Delegierte wollten das "Deutschland" einfach streichen und durch "Grüne" ersetzen, was der Partei im Vorfeld viel Kritik eingebracht hatte. Jetzt bleibt doch alles so, wie es war. "Deutschland. Alles ist drin", so lautet weiterhin das Motto der Grünen für den Wahlkampf zur Bundestagswahl im September.
Höhepunkt des Treffens: Am Nachmittag des Samstags konnte Annalena Baerbock nach etlichen schwierigen Wochen aufatmen: 98,5 Prozent der Delegierten votierten für die Parteichefin bei der Wahl zu Kanzlerkandidatin, sie war die einzige Bewerberin. Schon vor mehr als sieben Wochen, im April, hatte die grüne Parteispitze sich für die 40 Jahre alte Bundestagsabgeordnete aus Potsdam als Kandidatin für das Kanzleramt bei der Bundestagswahl im September entschieden. Der jetzige Parteitag sollte das offiziell bestätigen.
Viele Fehler bisher im Wahlkampf
Aber seit der Ernennung im April ist Vieles schief gelaufen in der Wahlkampagne der Grünen. Baerbock wurde kritisiert, weil sie Kurzstreckenflüge langfristig in Frage stellte und einen höheren Benzinpreis forderte. Außerdem gab es Unregelmäßigkeiten in ihrem Lebenslauf, in einigen renommierten Organisationen wie dem "German Marshall Fund" war sie gar nicht Mitglied, wie sie behauptet hatte. Und sie versäumte es zunächst, Weihnachtsgeld-Zahlungen der Partei von über 20 000 Euro als Zusatzeinnahmen an den Bundestag zu melden. Unter anderem deswegen rutschten die Grünen von fast 30 Prozent in den Umfragen im April auf zuletzt 20 Prozent ab. Fürs Erste schien der Traum vom Kanzleramt in weite Ferne gerückt.
Baerbock: "Wunsch nach Wechsel ist spürbar."
Aber der Parteitag stellte sich jetzt geschlossen hinter die grüne Kandidatin. Die versprach dann, die Fehler nicht zu wiederholen und zeigte sich trotz allem optimistisch: Es liege der Wunsch nach Wechsel in der Luft, fand Baerbock. Sie ging weit zurück in der Geschichte der Umweltschutzpartei der Grünen, sie sich 1980 gründeten, als sie sagte: "Wir haben uns 40 Jahre darauf vorbereitet, mit allen Ecken und Kanten. Jetzt ist der Moment, unser Land zu erneuern."
Am Sonntag, zum Abschluss des Parteitages, befassten sich die Grünen dann mit der Außenpolitik. Hochrangige Gastredner unterstrichen den Anspruch der Grünen, nach der Bundestagswahl im Herbst Regierungsverantwortung zu übernehmen. Die belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja kam ebenso als Gastrednerin zu Wort wie die frühere US-Außenministerin Madeleine Albright.
Bei Klimapolitik und Energiewende nicht überziehen
Am Freitag hatte der zweite Vorsitzende der Grünen, Robert Habeck, das Treffen eröffnet. Immer wieder tauchte in seiner Rede der Begriff der Freiheit auf, die für ihn und die Grünen bedeute, sich jetzt schon für die Freiheit künftiger Generationen einzusetzen, die eine intakte Umwelt benötigten. Aber Habeck sprach sich auch dafür aus, bei Forderungen im Klima-und Umweltschutz das Maß nicht zu verlieren: "Wenn wir zu steil einsteigen, dann verlieren wir das Projekt Energiewende und die Mehrheit, die wir dafür brauchen." Dem folgten dann die Delegierten. Anträge der Basis nach einem Tempolimit von 100 Stundenkilometern auf den Autobahnen oder 70 auf Landstraßen, oder gar einem Ende des Verbrennungsmotors schon 2025 lehnte der Parteitag ab und folgte so der Linie der Führung. In den letzten Wochen hatten die anderen Parteien in Deutschland den Grünen wie schon oft vorgeworfen, im Umwelt-und Klimaschutz allein auf Verbote zu setzen. Habeck sagte dann, vor allem Menschen auf dem Land, die noch auf das Auto angewiesen seien, müssten Ausgleichsleistungen angeboten werden, wenn höhere CO2-Steuern die Kraftstoffe verteuerten.
Nein zu Nord Stream 2
Dass sich bei einer möglichen grünen Regierungsbeteiligung nach der Wahl im Herbst aber auch in der Außenpolitik einiges ändern wird, machte dann fast zum Schluss des Parteitages noch eine Abstimmung über das Verhältnis zu Russland deutlich. Russland, heißt es nun im Wahlprogramm der Grünen, habe sich "zunehmend in einen autoritären Staat verwandelt und untergräbt immer offensiver Demokratie und Stabilität in der EU und in der der gemeinsamen Nachbarschaft." Viel Streit wird es sicher auch um die Forderung der Grünen geben, die umstrittene und fast fertig gebaute Gaspipeline Nord Stream 2 durch die Ostsee von Russland nach Deutschland abzulehnen, die die Ukraine umgeht. Die aktuelle Regierung unterstützt das Projekt trotz internationaler Kritik.