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Politik

Richtungswahl im Kosovo

Bahri Cani
5. Oktober 2019

Ramush Haradinaj, bisher Premierminister des Kosovo, ist erneut wegen Kriegsverbrechen vor Gericht geladen worden. Nach seinem Rücktritt wird nun ein neues Parlament gewählt. Das Land steht vor großen Herausforderungen.

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Kosovo Parlamentswahl 2019 Stimmzettel Auszählung
Bild: picture-alliance/AP Photo/D. Vojinovic

Von Schicksals-,  gar von historischen Wahlen sprechen Politiker im Kosovo. Die Wirklichkeit ist etwas bescheidener: "Ich würde diese Wahlen am kommenden Sonntag nicht als historisch, sondern als notwendige und wichtige Wahlen bezeichnen", sagt der Analyst Rrahman Paçarizi im Gespräch mit der DW. "Derzeit gibt es keine Einigkeit über die wichtigsten Herausforderungen, wie etwa den Dialog mit Serbien. Diese ist aber unbedingt nötig, wenn sich das Kosovo vorwärts bewegen möchte."  

Um die 120 Sitze im Kosovo-Parlament konkurrieren 25 politische Parteien und Koalitionen. Über 1000 Kandidaten werben um das Vertrauen von rund zwei Millionen Wählern. Die Verfassung des Kosovo sieht dabei eine Art doppelte "positive Diskriminierung" für Minderheiten vor. 20 Sitze im Parlament sind für Minderheitenvertreter reserviert: zehn für die serbische Minderheit, zehn für Bosniaken, Roma, Aschkali, Türken und Ägypter. Die zweite positive Diskriminierung besteht darin, dass die Minderheiten verpflichtend an der Regierung beteiligt werden.

Kopf-an-Kopf-Rennen

Wer am Ende gewinnen wird, ist vollkommen offen. Zum ersten Mal seit dem Kosovo-Krieg 1999 haben mindestens vier Parteien oder Koalitionen gute Chancen, die meisten Stimmen zu bekommen. Die letzten Umfragen sehen die Demokratische Liga des Kosovo (LDK), die Demokratische Partei Kosovo (PDK), die Koalition Allianz für die Zukunft des Kosovo und die Sozialdemokratische Partei (AAK-PSD) sowie die Bewegung Vetevendosje (Selbstbestimmung) nahezu gleichauf. Im Kosovo wird nach einer Entscheidung des Verfassungsgerichts mit der Regierungsbildung beauftragt, wer die meisten Stimmen bekommt.

Albin Kurti
Oppositionsführer mit guten Aussichten: Albin Kurti von der Bewegung Vetevendosje (Selbstbestimmung)Bild: Reuters/H. Reka

Zum ersten Mal in der Geschichte des jüngsten europäischen Staates stellt eine politische Partei eine Spitzenkandidatin: Die 37-jährige Juristin Vjosa Osmani von der LDK hat gute Chancen, zur ersten Premierministerin des Kosovo gewählt zu werden. Ebenso berechtigte Hoffnungen auf den Sieg können sich allerdings auch die anderen drei Spitzen-Kandidaten machen: Parlamentspräsident Kadri Veseli (PDK), der bisherige Regierungschef Ramush Haradinaj sowie Oppositionsführer Albin Kurti (Vetevendosja).

Gewaltige Herausforderungen

Das Rennen war nie so spannend und unvorhersehbar, meinen Beobachter in Prishtina. Sie sind sich jedoch einig, dass die neue  Premierministerin oder der Premierminister nicht zu beneiden sei. "Die innenpolitischen und außenpolitischen Herausforderungen sind sehr groß", sagt der Analyst Naim Rashiti im Gespräch mit der DW. Innenpolitische Baustellen gibt es fast in allen Bereichen: Die desaströse wirtschaftliche Lage gehört ebenso dazu wie das mangelhafte Bildungswesen, Korruption und Kriminalität, große Probleme im Gesundheitswesen und Nepotismus.

Die größte Herausforderung für die nächste Regierung besteht jedoch darin, Fortschritte im ungelösten Verhältnis zu Serbien zu erzielen. Viele Beobachter bezeichnen die künftige Exekutive deshalb schon jetzt als die "Regierung des Dialogs", weil ohne eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Kosovo und Serbien keine vollständige Entspannung der Lage auf dem Westbalkan vorstellbar ist. "Die primären außenpolitischen Aufgaben der neuen Regierung sind der Dialog, die Visaliberalisierung, der Kampf um die weitere Anerkennung des Kosovo sowie der EU- und NATO-Integrationsprozess", so Rashiti. 

Auf Hilfe angewiesen

Doch solange Serbien jede Form von Anerkennung kategorisch ablehnt und Kosovo international, wo irgend möglich, blockiert, kann keine Regierung in Prishtina allein Fortschritte erzielen. Das Land bleibt auch weiterhin in allen Belangen auf die Unterstützung der USA und der EU angewiesen.

Ein schwieriges Kapitel ist auch der Umgang mit dem Sondergericht für die Verbrechen der UCK (Kosovo-Befreiungsarmee) - eben das Gericht, das den bisherigen Premier Haradinaj zur Anhörung vorgeladen hat. "Um alle diese Aufgaben bewältigen zu können, muss die neue Regierung einen Weg für eine umfassende politische Koordinierung finden - vor allem im Dialog mit Serbien", betont Rashiti.

Das Kosovo - ehemals eine Autonome Region Jugoslawiens innerhalb Serbiens - hat sich am 17. Februar 2008 für unabhängig erklärt. Der junge Staat wurde bis jetzt von mehr als 100 Ländern anerkannt, jedoch nicht von Serbien, Russland, China sowie von fünf EU-Mitgliedern (Spanien, Slowakei, Griechenland, Rumänien und Zypern). In einem von der EU vermittelten Dialog zwischen Kosovo und Serbien wurden seit 2011 über 30 Abkommen unterzeichnet. Doch selbst die Umsetzung dieser Verträge ist eine Mammut-Aufgabe. Eine volle Normalisierung der Beziehungen ist immer noch in weiter Ferne. 

Ramush Haradinaj
Ramush Haradinaj trat zurück - er muss sich wegen Kriegsverbrechen verantwortenBild: Reuters/A. Beqiri

Die USA haben einen neuen Sondergesandten für diesen Dialog ernannt - den jetzigen US-Botschafter in Berlin, Richard Grenell. Er gilt als ein sehr guter Kenner der Beziehungen zwischen Kosovo und Serbien. Auch seitens der EU erwartet man neue Impulse, die zu einer Normalisierung der Beziehungen zwischen ehemals verfeindeten Nachbarn führen sollten.

Dialog mit Serbien

Belgrad hat sich zu einem Kompromiss mit Prishtina bereit erklärt, verlangt allerdings eine Lösung, bei der das Kosovo nicht "alles gewinnen" und Serbien "alles verlieren" würde. Die beiden Präsidenten der Länder, Aleksandar Vucic (Serbien) und Hashim Thaci (Kosovo), haben in den vergangenen Monaten die Möglichkeit von Grenzänderungen zwischen Kosovo und Serbien ins Spiel gebracht. Nachbarländer wie Nord-Mazedonien, Bosnien-Herzegowina oder Montenegro sowie Deutschland und viele andere EU-Mitglieder sehen dies aber "als eine sehr gefährliche Idee" an und als völkerrechtlichen Tabubruch. 

Wegen der serbischen Kampagne gegen die Anerkennung des Kosovo hatte die Regierung von Premierminister Ramush Haradinaj vor knapp einem Jahr die Zölle auf serbische Waren auf 100 Prozent angehoben. Danach hatte Serbien den Dialog abgebrochen. 

IS-Rückkehrer im Kosovo

Die USA, Deutschland, Großbritannien, Frankreich und Italien (auch Quint-Gruppe genannt) haben klar gemacht: Sie unterstützen keine der Parteien oder Koalitionen, plädieren aber für eine rasche Regierungsbildung, um die Handlungs- und Verhandlungsfähigkeit Kosovos wieder herzustellen. "Die Zusammensetzung der neuen Regierung wird sehr schwer, weil es zwischen den politischen Parteien sehr unterschiedliche Positionen über den Dialog mit Serbien gibt", so Paçarizi. Der Journalismus-Professor in Prishtina ist davon überzeugt, dass man wieder "die freundliche Unterstützung der internationalen Vertreter für die Bildung der neuen Regierung brauchen" werde.

Die Wahlen werden von Tausenden lokalen und internationalen Beobachtern überwacht. Die EU hat eine Beobachtermission mit rund 100 Mitgliedern nach Kosovo entsandt. Sie fordert einen reibungslosen, demokratischen und fairen Wahlverlauf. Das erste inoffizielle Ergebnis wird für Sonntagnacht erwartet.