Lehren aus Erfurt
4. April 2003Erfurt - vor gut einem Jahr: Ende April 2002 stürmt ein 19jähriger in das Gutenberg-Gymnasium, erschießt 16 Menschen und anschließend sich selbst. Rein zufällig beschließt der Bundestag in Berlin am selben Tag die seit langem geplante Reform des 30 Jahre alten Waffenrechts - unter dem Eindruck des Amoklaufs von Erfurt einigen sich Bund und Länder jedoch auf zusätzliche Verschärfungen. Seit dem 1. April ist es in Kraft.
"Kleiner Waffenschein"
Besonders Jugendliche haben es in Zukunft schwerer, sich Waffen legal zu beschaffen: Die Altersgrenze für Sportschützen wurde auf 21, die für Jäger auf 18 Jahre erhöht. Elektroschocker, Springmesser und Wurfsterne wurden komplett verboten. Wer Gas- oder Schreckschuss-Pistolen in der Öffentlichkeit tragen will, braucht in Deutschland jetzt einen so genannten "kleinen Waffenschein". Vorraussetzung ist neben der Volljährigkeit eine medizinisch-psychologische Untersuchung. Einschlägig vorbestrafte, alkoholkranke und psychisch gestörte Menschen sollen so erst gar nicht die Möglichkeit zu Straftaten mit Waffen bekommen. Professor Christian Pfeiffer vom Kriminologischen Forschungsinstitut Hannover, der bis vor wenigen Wochen auch Justizminister in Niedersachsen war, kann mit dem Gesetz gut leben, sieht aber auch die Grenzen seiner Wirksamkeit: "Ein zu einer bösen Tat entschlossener Mensch, der dafür eine Waffe einsetzen will, der tut das weiterhin. Also das Waffenrecht wird - davon gehe ich aus - nicht zu einem deutlichen Rückgang der Waffendelikte in Deutschland führen können.
Menschen, die zur Illegalität entschlossen sind, werden sich auch weiterhin für 500 Euro illegal eine Waffe kaufen an irgendeinem schummrigen Thekentisch und dann Verbotenes tun."
Problem illegaler Waffen
Im Zusammenhang mit den neuen Regelungen sehen Experten aber besonders in den illegalen Waffen das Problem. Denn: Bei Straftaten sind nur knapp zehn Prozent der beschlagnahmten Waffen legal im Besitz der Täter. Doch das neue Waffenrecht hat auch noch andere Tücken: Zum Beispiel fehlt nach Angaben des Vorsitzenden der Innenministerkonferenz Andreas Trautvetter bisher eine verbindliche Regelung für die psychologische Untersuchung der angehenden Waffenbesitzer. Zudem stapeln sich bereits die Anträge für den "kleinen Waffenschein" auf den Schreibtischen von Polizei und Ordnungsämtern. Hugo Müller, stellvertretender Bundesvorsitzender der Polizei-Gewerkschaft, ist skeptisch: "Wenn man weiß, dass
die Zahl der Beschäftigen in den Waffenbehörden, bei der Polizei, eher weiter reduziert wird, dann stellt sich die große Frage nach der Umsetzbarkeit des neuen Gesetzes.".
Beispiel Großbritannien
Die Zweifel sind berechtigt, wie ein Beispiel aus dem
europäischen Ausland zeigt: In Großbritannien wurde 1996 nach einem ähnlichen Massaker wie in Erfurt ein nahezu vollständiges Verbot von Privatwaffen durchgesetzt. Doch die Zahl der Straftaten mit Schusswaffen stieg in den folgenden Jahren deutlich an. Deshalb kann das neue, verschärfte Waffenrecht nur eine Maßnahme von vielen sein, unterstreicht Kriminologe Pfeiffer: "Das entscheidende ist - das hat man noch nicht konsequent in Angriff genommen - wie man Einfluss darauf nimmt, dass in den Köpfen keine schlimmen Tatpläne entstehen. Wie verhindert man die Waffenfaszination, die Ausprägung von Macho-Kultur in Verbindung mit Waffen? Was muss da geschehen im
Bezug auf Gewalt in den Medien als Beispiel? Da sind wir weit hinter dem zurück, was aus der Wissenschaft ganz klar als Konsequenz abgeleitet werden kann."
Aber der Staat hat auch hier einen ersten Schritt getan: Zusammen mit dem verschärften Waffenrecht ist am 1. April nämlich auch der neue Jugendmedienschutz-Staatsvertrag in Kraft getreten, der Kinder und Jugendliche vor Gewaltdarstellungen in Fernsehen und Internet schützen soll. Und es ist wohl als Symbol zu verstehen, dass das Herzstück, die "Kommission für Jugendmedienschutz", ihren Sitz in Erfurt hat.