Liberia nach Ellen Johnson Sirleaf
5. Oktober 2017Sie ist die erste demokratisch gewählte Präsidentin Afrikas: Ellen Johnson Sirleaf trat 2005 als Staatsoberhaupt von Liberia ein schweres Erbe an. Das kleine westafrikanische Land lag komplett in Trümmern. Ein brutaler Bürgerkrieg hatte Liberia verwüstet und das Leben vieler Einwohner zerstört. Mehr als 250.000 Menschen waren ums Leben gekommen, eine Million und damit ein Drittel der Bevölkerung hatte die Heimat verlassen. Eine ganze Generation war in dem 14-jährigen Konflikt zu Kindersoldaten gemacht worden. Geschätzte 70 Prozent der Frauen Liberias wurden in dem Chaos der grausamen Kriegswirren Opfer von Vergewaltigungen.
Hoffnung für ein traumatisiertes Volk
In dieser Zeit der Verzweiflung war Johnson Sirleaf die Hoffnungsträgerin eines ganzen Kontinents, der man es zutrauen konnte, dem traumatisierten Volk seine Würde zurückzugeben. Sie stammt nicht aus der kreolischen Führungsschicht des Landes, die sich aus den Nachfahren freigelassener amerikanischer Sklaven zusammensetzt, die Liberia 1847 gründeten. Ihr Großvater mütterlicherseits war ein deutscher Händler, der eine Marktfrau vom Lande heiratete, wie Sirleaf Johnson gern in Interviews erzählt. Sie selbst heiratete als 17-Jährige, gebar vier Söhne und ging zum Studium in die Vereinigten Staaten. Sie musste sich hocharbeiten, studierte in Harvard und legte danach eine eindrucksvolle Karriere hin: Sie erhielt Führungsposten bei der Weltbank und arbeitete als Leiterin der UN-Entwicklungsorganisation für Afrika.
Nach der gewonnenen Wahl kamen Johnson Sirleaf ihre internationalen Kontakte zugute. "Sie genießt hohes Ansehen in den USA, ist eine Freundin von Hillary Clinton", sagt Alex Vines, Leiter des Afrika-Programms der britischen Denkfabrik Chatham House. Dadurch sei es der Präsidentin gelungen, das internationale Vertrauen in Liberia zu stärken. Sie erwirkte einen Schuldenerlass in Höhe von 2,9 Milliarden Euro, holte Entwicklungshilfe und Investoren ins Land, darunter den größten Stahlproduzenten der Welt, ArcelorMittal. Der Diamantenhandel, der im Bürgerkrieg eine unrühmliche Rolle gespielt hatte, wurde reformiert. In der zwölfjährigen Amtszeit Johnson Sirleafs hat sich das Bruttoinlandsprodukt von Liberia fast vervierfacht. Im Kampf für eine bessere Zukunft des geschundenen Landes verdiente sie sich mehrere Beinamen: Die Liberianer nennen sie wahlweise "Ma Ellen" oder "Eiserne Lady".
Sicherheit statt Versöhnung
Dennoch sei Johnson Sirleaf "keine Heilige", sagt Vines. Sie habe zwar viel für die Glaubwürdigkeit des Landes getan, den Frieden und die Stabilität gefestigt. Dennoch lebten noch immer viele Liberianer in bitterer Armut. "Sie führte eine Politik der Kompromisse, denn sie hatte noch nicht einmal die Mehrheit im Senat." Die Ebola-Epidemie 2014 traf das Land hart. Viele ausländische Unternehmen reduzierten ihr internationales Personal oder zogen es ganz ab. Größere geplante Neuinvestitionen wurden verschoben. Auch der Einbruch der Weltmarktpreise für Eisenerz, Rohkautschuk und Palmöl haben zu deutlichen Wachstumseinbußen geführt.
Bei der Aufbereitung des Bürgerkriegs habe sie sich zu sehr auf Frieden und Sicherheit konzentriert und dabei die Versöhnung verfeindeter Bevölkerungsgruppen vernachlässigt, sagt Fonteh Akum, Mitarbeiter des südafrikanischen Instituts für Sicherheitsfragen, im DW-Interview. "Während sie für mehr Stabilität in der Phase der Nachkriegszeit gesorgt hat, hätte sie mehr tun können." Ihre Regierung habe unter Korruption gelitten, und sie sei des Nepotismus beschuldigt worden. Johnson Sirleaf hat zwei ihrer Söhne in Führungspositionen untergebracht: bei der Zentralbank und als Sicherheitsberater der Regierung. "Das hat das Vertrauen der Liberianer unterwandert", sagt Akum. "Die Anti-Korruptions-Kommission, was hat die getan?"
Nachfolger gesucht
2011 erhielt Ellen Johnson Sirleaf den Friedensnobelpreis für ihren Einsatz für die Sicherheit und Rechte von Frauen. Doch selbst hier habe die angebliche Vorreiterin zu wenig getan, sagt Akum. Trotz strenger Gesetze sei Gewalt gegen Frauen und Mädchen in Liberia noch immer weit verbreitet. Von der Gleichstellung der Geschlechter sei das Land weit entfernt.
Nach zwei Amtszeiten wird die Präsidentin im Januar 2018 ihr Amt niederlegen. Es sei Zeit für einen Wechsel und für eine jüngere Führung, sagt sie. Mit ihrem Rückzug wolle sie ein Signal senden und die Verfassung respektieren - während manche ihrer Amtskollegen sie ändern, um länger an der Macht bleiben zu können. 22 Kandidaten stehen zur Wahl, wenn am 10. Oktober ihr Nachfolger gewählt wird. Vizepräsident Joseph Boakai von der regierenden Einheitspartei (UP) verspricht dringend notwendige Arbeitsplätze. Auch Jewel Tylor, Senatorin der Provinz Bong und Ex-Frau des früheren Warlords und Präsidenten Charles Taylor, tritt an. Ein weiterer aussichtsreicher Kandidat ist der ehemalige Weltfußballer George Weah. Die Präsidentin Johnson Sirleaf habe es verfehlt, die Bürger zu einem wichtigen Teil des gesellschaftlichen Wandels zu machen, sagt Akum. "Das wird die wichtigste Aufgabe für ihren Nachfolger."