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Politik

Alles auf Anfang. Aber anders.

9. November 2020

Die Glückwünsche von Bundeskanzlerin Merkel an den neu gewählten US-Präsidenten unterscheiden sich von jenen vor vier Jahren. Und machen zugleich deutlich, dass manches sich ändern wird, meint Christoph Strack.

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Angela Merkel zur US Wahl 2020 Joe Biden
Bild: Michael Kappeler/REUTERS

Wer gratuliert, hat für gewöhnlich auch ein kleines Geschenk dabei. Bei ihrem Glückwunsch an den gewählten US-Präsidenten Joe Biden und dessen Vize Kamala Harris hält sich Bundeskanzlerin Angela Merkel an diesen Brauch: Sie gratuliert nicht nur mit Worten, die für ihre Verhältnisse ausgesprochen herzlich daherkommen. Als sie die lange Freundschaft zwischen den USA, Deutschland und Europa erinnert und Gemeinsamkeit beschwört, kündigt sie an zu liefern: Deutsche und Europäer wüssten, dass sie in dieser Partnerschaft mehr Verantwortung übernehmen müssten. Amerika "erwartet von uns - zu recht - stärkere Anstrengungen, um für unsere Sicherheit zu sorgen und für unsere Überzeugungen in der Welt einzutreten".

Es hat Hintersinn, dass Merkel ihre Gratulation erst am Montag und nicht - wie ursprünglich angekündigt - am Sonntagnachmittag in die Kameras spricht. Denn zum einen ist der 9. November ein deutscher Schicksalstag. Er stehe, sagt die Kanzlerin, für das Schlimmste und das Beste in der deutschen Geschichte: die Juden-Pogrome 1938 im ganzen damaligen NS-Staat mit hunderten Toten, denen bald der systematische Massenmord an den Juden folgte - und der Fall der Mauer 1989. Und vom Fall der Mauer kann Merkel überleiten zur wichtigen Rolle der USA "für die Freiheit in der Welt", eben auch für den Fall der Mauer.

Strafzölle vor schönen Worten

Aber der Hintersinn war realpolitischer und sehr gegenwartsbezogen. Denn Stunden vor Merkels Auftritt hatte die EU massive Strafzölle auf amerikanische Importe angekündigt. Brüssel reagiert damit auf rechtswidrige Subventionen der USA für den notleidenden Flugzeugbauer Boeing. Die Strafzölle haben ein Volumen von jährlich knapp vier Milliarden Dollar. Sie werden die US-Administration nicht erfreuen. Die jetzige nicht, die künftige auch nicht. Man darf gespannt sein, wie nun Donald Trump reagiert und ob ein künftiger Präsident Biden ab dem 20. Januar 2021 seine Handelspolitik offener ausrichtet.

Deutsche Welle Strack Christoph Portrait
Christoph Strack ist Hauptstadt-KorrespondentBild: DW/B. Geilert

So hat Merkel beim Glückwunsch zwar Geschenke dabei. Aber so schwer beladen, dass sie auf die Hilfe anderer zwingend angewiesen wäre, kommt sie gewiss nicht daher. Die Zusage zu "stärkeren eigenen Anstrengungen" geht einher mit dem Zeichen, dass die Europäer angesichts amerikanischen Handelns eben auch an sich denken und das deutlicher signalisieren wollen. Kanzlerin Merkel mag nur noch sechs Wochen EU-Ratsvorsitzende sein, nur noch zehn, elf Monate Bundeskanzlerin. Aber sie will dennoch die neu erblühende Partnerschaft mitgestalten.

Die Herausforderungen, die Amerikaner und Europäer gemeinsam bewältigen müssten, benennt die Kanzlerin konkret: die Corona-Pandemie, die Erderwärmung, der Terrorismus und das Bemühen um eine offene Weltwirtschaft mit freiem Handel. So beschwört sie bei den globalen Themen und Krisen der Gegenwart die Rückkehr zu Multilateralismus und Miteinander, nachdem die Europäer und sie persönlich in den vergangenen Jahren viel einstecken mussten - von Trumps steter Forderung nach stärkerem finanziellen Engagement in der NATO, über den Abzug von US-Soldaten aus Deutschland bis zu seiner rabiaten Aufkündigung des Pariser Klimaschutz-Abkommens. Am schlimmsten war vielleicht die Gehässigkeit, mit der Trump Deutschland, das sich so gerne als zuverlässigen Partner sieht, in die Nachbarschaft von Schurkenstaaten rückte. 

Im strategischen Denken und bei Äußerungen der Bundeskanzlerin gibt es eine Maxime: Sie schaut nie zurück und kartet dementsprechend nicht verbal nach. Das passt auch zum Glückwunsch an Joe Biden und Kamala Harris: Der Name Trump fällt kein einziges Mal. Mit keiner Andeutung nimmt Merkel, im blauen Blazer, Bezug zum anhaltenden Kampf des amtierenden Präsidenten gegen das bisher nur von Medien verkündete, gleichwohl recht gesicherte Wahlergebnis. Trump, wer war noch mal Trump?

Blick zurück im Zorn

Es war just der 9. November 2016, der gleiche Tag vor vier Jahren, dass sich die Bundeskanzlerin, damals im roten Blazer, an identischer Stelle vor laufenden Kameras zum Ausgang der US-Präsidentenwahl äußerte. Gleich zu Beginn senkte sie den Daumen über die "zum Teil schwer erträgliche Konfrontation", die sich im Wahlkampf dieser "alten und ehrwürdigen" Demokratie gezeigt habe. Sie sprach von der politischen, wirtschaftlichen, militärischen Verantwortung eines jeden US-Präsidenten, Verantwortung, "die beinah überall auf der Welt zu spüren ist".

Und dann kamen damals kernige fünfzehn Sekunden, denn es ging ihr um den Kern von Politik: "Demokratie, Freiheit, den Respekt vor dem Recht und der Würde des Menschen, unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Religion, Geschlecht, sexueller Orientierung oder politischer Einstellung - auf der Basis dieser Werte biete ich dem künftigen Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, Donald Trump, eine enge Zusammenarbeit an." 

Er ist durchgefallen. Trump darf  keine Geschenke mehr erwarten. An diesem Montag war es nicht mal mehr ein verbal geflochtener Strauß hässlicher Trockenblumen. Aber alles auf Anfang mit Washington. 

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