Merkels Nachspielzeit
27. September 2021Angela Merkel ist nach der Bundestagswahl nur noch kommissarisch im Amt, so lange, bis die neue Regierung gebildet ist. Ein Zeitlimit gibt es für diese Phase nicht. Theoretisch könnte Angela Merkel also noch Weihnachten im Amt sein. Nach dem 17. Dezember 2021 hätte sie dann auch den bisherigen Amtszeitrekord von Bundeskanzler Helmut Kohl übertroffen. Der liegt bei 5869 Tagen.
Machtbefugnisse der Kanzlerin nach der Wahl
Nach der Wahl darf Angela Merkel zunächst alle bisherigen Aufgaben weiterführen. Dazu gehören Personalfragen. Sie könnte also - rein theoretisch - ihre ebenfalls nur noch geschäftsführend tätigen Ministerinnen und Minister entlassen und neue benennen.
Termine, die für die Bundeskanzlerin vorgesehen sind, müssen ebenfalls wahrgenommen werden. Weil so schnell wahrscheinlich noch keine neue Regierung gebildet sein wird, reist Angela Merkel wohl zum Beispiel noch zum Treffen der führenden Wirtschaftsmächte, zum G20-Gipfel, Ende Oktober nach Rom.
Offizielle Geschenke gehören dem Staat
Die bisherige Kanzlerin darf nicht einfach alle in ihrer Amtszeit erhaltenen Geschenke mit nach Hause nehmen. Das verbietet das so genannte Ministergesetz. Die Geschenke hat Merkel als Kanzlerin und nicht als Privatperson erhalten. Deshalb sind alle Geschenke inventarisiert und Eigentum des Staates. Ebenso wie der Schreibtisch, der Schreibtischstuhl und Kunstwerke, die ihr der Staat für ihre Amtszeit zur Verfügung gestellt hat.
Angela Merkel darf ihr bisheriges Amtszimmer aber weiter benutzen, bis die nächste Kanzlerin oder der nächste Kanzler gewählt ist.
Die Wahl ist Aufgabe des neu gewählten Bundestages, der auf Vorschlag des Bundespräsidenten Merkels Nachfolgerin oder Nachfolger wählt.
Das neue Parlament
Der neu gewählte Bundestag muss spätestens 30 Tage nach der Wahl zum ersten Mal zusammentreten. Das schreibt der Artikel 39 des Grundgesetzes so vor.
Sobald das amtliche Endergebnis durch den Bundeswahlausschuss festgestellt ist und die Namen aller neu gewählten Abgeordneten feststehen, beginnen die Monteure der Bundestagsverwaltung im Plenarsaal, alle Stühle neu zu montieren. Vor vier Jahren, als die AfD zum ersten Mal ins Parlament einzog, wollte zunächst keine Fraktion direkt neben AfD-Abgeordneten sitzen, was Verzögerungen mit sich brachte.
Koalitionsverhandlungen zur Regierungsbildung
Das wohl schwierigste Kapitel nach einer Bundestagswahl. Auch hier gibt es keine zeitlichen Vorgaben im Gesetz. Und das wissen alle Beteiligten, die um jedes Detail und damit um jede Machtverteilung verhandeln. Es geht um Parteiziele, Personen für Ministerämter und schließlich den Koalitionsvertrag.
Die Koalitionsverhandlungen eröffnet der Spitzenkandidat der Partei, die bei der Bundestagswahl die meisten Wählerstimmen erhalten hat. Der Spitzenkandidat (meist gleichzeitig der Kanzlerkandidat) darf sich aussuchen, mit welchen anderen Parteien er in Zukunft in einer Regierung zusammenarbeiten will. Soweit das Verfahren bisher. Nach dieser Bundestagswahl 2021 ist alles anders. SPD und die Union aus CDU/CSU liegen beim Wahlergebnis so nahe beieinander, dass sowohl der Kanzlerkandidat der Union, Armin Laschet, als auch der Kanzlerkandidat der Sozialdemokraten, Olaf Scholz, für sich jeweils das Recht in Anspruch nehmen, die Sondierungsgespräche mit möglichen Koalitionspartnern aufzunehmen. Richtig gelesen: Ab Montag nach der Wahl werben z w e i Kanzlerkandidaten um Verbündete. Jedenfalls erklärten Scholz und auch Laschet öffentlich im Fernsehen noch am späten Wahlabend, dass sie einen Fraktionschefposten im Parlament ablehnen, sondern weiterhin am Amt des Parteivorsitzenden festhalten. In dieser Rolle wollen sie verhandeln.
Anders als in den USA oder Großbritannien, wo meist eine Partei eine klare Mehrheit hat, braucht in Deutschland die Partei mit den meisten Stimmen in der Regel einen Koalitionspartner, um eine Mehrheit im Parlament zu bekommen, diesmal wahrscheinlich sogar zwei Partner. Nach dem schlechten Abschneiden der Partei "Die Linke", läuft es auf die Parteien der Grünen und der FDP als so genannte "Königsmacher" hinaus. Diese beiden Parteien und nicht etwa die vom Wähler favorisierten Volksparteien SPD und CDU entscheiden nun, wie es jetzt weitergeht. FDP und Grüne sind derzeit von ihren erklärten Parteizielen allerdings in so vielen Punkten auseinander, dass alleine ihre Einigung, ob sie mit SPD oder CDU/CSU koalieren wollen, viel Zeit benötigen wird.
Das kann dauern
Die Koalitionsverhandlungen ziehen sich zusätzlich oft lange hin, weil meist die Parteien noch auf Parteitagen ihre Mitglieder befragen, ob diese ihre Zustimmung zu bestimmten anderen Koalitionspartnern geben.
Vor vier Jahren zum Beispiel deutete sich zuerst eine "Jamaika"-Koalition (genannt nach den Farben der Flagge des Karibikstaates) zwischen CDU/CSU (schwarz), FDP (gelb) und Grünen an. Dann stieg die FDP aus den Verhandlungen aus, weil sie meinte, die CDU würde den Parteizielen der Grünen zu sehr entgegenkommen.
Danach ging es um die Frage, ob die SPD nochmals mit der CDU/CSU eine so genannte große Koalition eingehen solle. Die SPD war nach ersten Erfahrungen mit der Union sehr unwillig, weil sie befürchtete, die eigenen Parteiziele zu wenig durchsetzen zu können. Schließlich votierten 600 SPD-Delegierte für "ergebnisoffene" Gespräche mit der Union aus CDU und CSU. Dann erst begannen die Koalitionsverhandlungen. Und schließlich musste noch einmal ein SPD-Sonderparteitag über den Koalitionsvertrag abstimmen. Nach rund sechs Monaten stand der Koalitionsvertrag als Grundlage für die neue Regierung.
Die Kanzlerwahl
Der Bundespräsident als höchster Amtsträger Deutschlands schaut sich die Mehrheitsverhältnisse im neu gewählten Parlament an und schlägt die Person zur Wahl vor, die die größten Chancen hat, zum Bundeskanzler von den Abgeordneten gewählt zu werden. Bis zu drei Wahlgänge sind dafür vorgesehen.