Eine Havarie - doppelter Schaden
23. Januar 2018Inzwischen sind die Ölteppiche im ostchinesischen Meer mindestens 332 Quadratkilometer groß, teilte die chinesische Meeresverwaltung am Montag mit. Das entspricht in etwa der Fläche von Paris. Der iranische Tanker "Sanchi" war am 6. Januar auf hoher See 300 Meter östlich von Shanghai mit einem chinesischen Frachter zusammengestoßen und in Brand geraten. Er sank am 14. Januar, noch bevor die Ladung komplett verbrannt war. 32 Seeleute sind bei dem Unglück vermutlich ums Leben gekommen. Laut chinesischem Verkehrsministerium liegt das Schiffswrack jetzt in 115 Metern Tiefe auf dem Meeresgrund.
Die Frage, die nun Behörden, Naturschützer und die Bevölkerung beschäftigt: Welche kurz- und langfristigen Folgen wird das Unglück haben? Vier Ölteppiche treiben inzwischen auf dem ostchinesischen Meer. Die Medien vergleichen das Ausmaß der Katastrophe mit dem des Unglücks der Exxon Valdez,die am 24. März 1989 vor Alaska auf Grund lief. Damals liefen 37.000 Tonnen Rohöl aus.
Im ostchinesischen Meer aber ist noch ein ganz anderes Öl im Spiel. Die "Sanchi" hatte über 130.000 Tonnen Kondensat geladen, ein hochwertiges, farbloses Leichtöl. Ein großer Teil davon ist ins Meer gelaufen. Dazu gesellte sich Schweröl aus dem Treibstofftank des Frachters.
Hochgiftiger Ölfilm
Kondensat ist ein Erdölprodukt, das viele kurze Moleküle enthält und daher leicht verdunstet und sich schnell entzündet. Aus ihm wird unter anderem Benzin hergestellt. "Fast alle Bestandteile sind für Lebewesen hochgiftig", sagt Jörg Feddern, Ölexperte bei Greenpeace, gegenüber der DW. Öl, gleich welcher Art, enthält tausende von Verbindungen, hauptsächlich Kohlenwasserstoffe, aber auch Schwefelverbindungen.
Leichtöle lösen sich zum Teil in Wasser. Der andere, nicht wasserlösliche Teil steigt nach oben und schwimmt auf der Wasseroberfläche - es entsteht ein Ölfilm. Das Problem: Da sich Leichtöle besser mit Wasser vermischen als Rohöl und Schweröl, geraten die Schadstoffe auch besser in die Umwelt. "Sie gehen in die Wassersäule", sagt Feddern, "und die Lebewesen nehmen sie auf."
Von Plankton bis Fischen - in allen sind die Leichtöl-Bestandteile zu finden. Da der Ort des Tankerunglücks zu einem beliebten Fischereigebiet gehört, ist auch der Mensch direkt betroffen. "Man muss unbedingt die Fischfänge aus dieser Region auf Schadstoffe untersuchen", warnt Feddern, "um Schaden von den Menschen abzuhalten."
Hoffnung - und Ratlosigkeit
Experten hoffen noch, dass diese Art von Leichtöl-Pest nicht allzu lange andauern wird. Zum einen verdunsten die Verbindungen recht schnell - was das Problem allerdings lediglich vom Wasser in die Luft verlagert. "Auch können Bakterien leichte Öle besser abbauen", sagt Biogeochemiker Marcus Elvert vom Zentrum für Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen (Marum). "Je länger die Kohlenwasserstoffkette ist, desto länger dauert die Zersetzung."
Allerdings ist diese Art von Tankerunglück eine Premiere. Noch nie sei ein Tanker mit solchen großen Mengen Leichtöl verunglückt, sagt Ölexperte Feddern. "Niemand hat Erfahrung damit. Alle sind ratlos." Daher wisse auch niemand, welche Maßnahmen nun am besten zu ergreifen seien. "Ein solcher Ölfilm ist zudem nur schwer aus dem Wasser herauszubekommen." Mit Schweröl habe man einfach mehr Erfahrung.
Zähes Gemisch
Schweröl entsteht als Rückstand bei der Erdölverarbeitung. Es besteht aus besonders langen, schwerflüchtigen Verbindungen und dient als Schiffstreibstoff - obwohl schon lange bekannt ist, dass bei seiner Verbrennungbesonders viel Schadstoffe frei werden. "Das ist quasi Sondermüll", sagt Stephan Lutter, Meeresschutzexperte beim WWF im DW-Interview. Auch die "Sanchi" hatte Schweröl als Treibstoff dabei.
Bei einem Tankerunglück reichert sich Schweröl als dicke Ölschicht auf der Wasseroberfläche an und wird entweder an die Küsten gespült oder sinkt irgendwann auf den Meeresgrund. Für Wasservögel ist es besonders schädlich, da es ihr Gefieder verklebt, sie am Schwimmen und Fliegen hindert und sie verhungern und auskühlen lässt. Wenn Tiere es aufnehmen, verursacht Schweröl - genauso wie Leichtöl - Lungen-, Leber und Nierenschäden. Zudem enthält Schweröl viele krebserregende Verbindungen.
In der betroffenen Region im ostchinesischen Meer leben auch viele Meeressäuger, zum Beispiel Delfine und Seekühe, sagt Lutter. "Die vergiften sich, wenn sie Ausdünstungen des Ölteppichs einatmen."
Pest oder Cholera
Was ist denn nun schlimmer - dass beim Sanchi-Unglück Leichtöl oder dass Schweröl ausgetreten ist? Die Antwort der Experten: beides. "Beide Ölsorten sind sehr giftig für die marine Umwelt", sagt Feddern. Der einzige Unterschied: Bei Schweröl sind die katastrophalen Folgen bereits hinreichend aus anderen Unfällen bekannt, bei Leichtöl muss man erst mal abwarten.
"Das Kind ist in den Brunnen gefallen", fügt Feddern hinzu. "Das Unglück wird die Region massiv betreffen." Welche Folgen es genau hat, wird man aber wohl erst in vielen Jahren wissen.
Wie es weitergeht, hängt von vielen Faktoren ab, etwa der Windrichtung. Die Frage ist auch, wie schnell das Öl verdunstet oder ob es eventuell erneut zu brennen beginnt. Wissenschaftler am National Oceanography Centre in Großbritannien haben errechnet, dass der Ölteppich auch Japan erreichen könnte – und zwar schon innerhalb eines Monats. Unter anderem könnte er die Insel Jeju in Mitleidenschaft ziehen, auf der 600.000 Menschen leben.
"Ein Szenario, das keinesfalls eintreten sollte"
Meeresexperte Stephan Lutter macht sich auch Sorgen um die Brutgebiete der Meeresschildkröten auf zwei japanischen Inseln. Besonders schlimm wäre es allerdings, wenn der Ölteppich die Küsten am Gelben Meer zwischen China und der koreanischen Halbinsel in einen Ölstrand verwandeln würde.
"Dieser Teil des Gelben Meer ist mit der Nordsee vergleichbar" sagt er. Dort gebe es sogar Wattenmeere, und es sei ein beliebter Stopp in der Vogelzugroute von der Beringsee zum Indischen Ozean. "Die Vögel fressen sich dort ihre Fettreserven an." Eine Ölpest in dieser empfindlichen und produktiven Meeresregion hätte verheerende Konsequenzen. "Das ist ein Szenario, das keinesfalls eintreten sollte."
Aber bei allen Vermutungen, Hoffnungen und Befürchtungen, die deutsche Wissenschaftler und Naturschützer äußern, fällt auch immer wieder dieser Satz: "Wir sind nicht vor Ort". Sprich: Was gerade wirklich passiert, ist unbekannt - auch Experten können nur spekulieren. Lutter weist darauf hin, dass nach einem solchen Tankerunglück die Aufgabe aufzuräumen, den Staat trifft, in dem das Unglück passiert sei, sprich China.
In der Nordsee gebe es Ölbekämpfungsflotten, die im Falle einer Ölkatastrophe sofort das Schlimmste verhindern können. Von der Region im ostchinesischen Meer ist das allerdings niemandem bekannt. Naturschützer können nur hoffen, dass China das Unglück ernst nimmt und schnell Gegenmaßnahmen ergreift.