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Ukraine: Gespaltenes Land, gespaltene Kirche

Roman Goncharenko14. Dezember 2013

Bei den Protesten gegen die Regierung in Kiew wird auch die Spaltung der christlich-orthodoxen Kirchen in der Ukraine deutlich. Die eine schützt Demonstranten vor der Polizei, die andere hält offiziell Distanz.

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Zufluchtsort für Demonstranten: Das Michaelskloster in Kiew (Foto: DW)
Bild: DW/R. Goncharenko

Die Farben des Kiewer Michaelsklosters erinnern an die ukrainische Flagge: blau gestrichene Außenwände und goldene Kuppeln. Hinein strömen Menschen, die blau-gelbe Fahnen tragen. "Wir sind gekommen, um für die von der Polizei zusammengeschlagenen Studenten zu beten", sagt Olena, eine Studentin aus dem westukrainischen Lwiw. Sie und ihre vier Bekannten sind für drei Tage nach Kiew gereist, um für die Annäherung der Ukraine an die Europäische Union zu demonstrieren. Und gegen den Präsidenten Viktor Janukowitsch, der diesen Prozess jüngst gestoppt und damit Massenproteste ausgelöst hatte.

Priester gegen Polizisten

In der Nacht auf den 30. November 2013 spielten sich vor den Toren des Michaelsklosters dramatische Szenen ab. Wenige hundert Meter bergab, auf dem Maidan Nesaleschnosti (Unabhängigkeitsplatz), räumte die Polizei gewaltsam das Lager der Regierungsgegner. Hunderte Studenten wurden brutal zusammengeschlagen und von der Polizei bis in die umliegenden Straßen verfolgt. Sie fanden Schutz im Michaelskloster. Priester stellten sich vor die Polizisten mit Schlagstöcken und ließen sie nicht durch.

Studenten aus Lwiw vor dem Michaelskloster in Kiew (Foto: DW)
Studenten aus Lwiw vor dem Michaelskloster in KiewBild: DW/R. Goncharenko

"Es waren rührende Szenen, als am nächsten Morgen Priester leise den Gottesdienst feierten, um die auf dem Boden schlafenden Studenten nicht zu wecken", erzählt Juri Kurzilow. Er war Augenzeuge. Der 32-jährige Designer ist aus der südukrainischen Stadt Mykolajiw nach Kiew gereist, um die Protestler zu unterstützen. "Als ich blutüberströmte junge Studentinnen sah, dachte ich, dass diese Regierung zurücktreten muss", sagt er. "Und als ich gesehen habe, wie Priester den Demonstranten helfen, habe ich gedacht: Die Kirche ist mit dem Volk und umgekehrt".

Symbol der Protestbewegung

Heute steht Juri zusammen mit einem halben Dutzend Männer auf dem Platz vor dem Michaelskloster. Er trägt eine grüne Tarnjacke und einen Helm auf dem Kopf. "So schütze ich mich vor der Polizei", sagt er. Hier wurde eine Art Wachposten aufgebaut, eine rund zehn Meter breite Barrikade aus Holzteilen und Schnee. "Wir beobachten, ob Polizei kommt, und warnen dann die Leute auf dem Maidan", erklärt Juri seine Aufgabe.

Juri Kurzilow hat gesehen, wie Demonstranten von der Polizei vor dem Michaelskloster Kloster geschlagen wurden (Foto: DW)
Juri Kurzilow: Geschockt von der Brutalität der PolizeiBild: DW/R. Goncharenko

Das Michaelskloster ist in den vergangenen Tagen zu einem der Symbole der Protestbewegung geworden. Mitten in der Nacht auf Mittwoch (11.12.2013) läuteten die Glocken des Klosters, um die Protestler auf dem Maidan vor der wieder einmal anrückenden Polizei zu warnen.

Ein Zufall scheint es nicht. Das Michaelskloster wurde zu Sowjetzeiten zerstört und in den 1990er Jahren wieder aufgebaut. Es gehört der Ukrainischen Orthodoxen Kirche des Kiewer Patriarchats. Diese Kirche wurde nach der Unabhängigkeit der Ukraine gegründet und versteht sich auch als unabhängig. Sie ist allerdings innerhalb der weltweiten Orthodoxie nicht anerkannt, weil die Russische Orthodoxe Kirche dagegen ist. Das habe mit Politik zu tun, glaubt Erzbischof Jewstratij, Sprecher des Kiewer Patriarchats. "Russland will durch die Kirche seinen Einfluss auf die Ukraine behalten", sagt er.

Erzbischof Jewstratij, Pressesprecher der Ukrainischen Orthodoxen Kirche des Kiewer Patriarchats (Foto: DW)
Erzbischof Jewstratij: Hilfe für DemonstrantenBild: DW/R. Goncharenko

Kirchenspaltung wieder spürbar

Die meisten Gläubigen in der Ukraine gehören der Ukrainischen Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats an. Sie hat ihren Sitz in dem berühmten Petscherska-Lawra-Kloster auf dem steilen rechten Ufer des Dnipro-Flusses. Diese Kirche ist dem russischen Patriarchen unterstellt.

Die seit über 20 Jahren bestehende Spaltung der ukrainischen Orthodoxie spiegelt sich in der Einstellung zu den aktuellen Ereignissen. Das Kiewer Patriarchat gewährt Demonstranten Schutz vor der Polizei, seine Priester beten zusammen mit hunderttausenden Protestlern auf dem Maidan. Das Moskau unterstellte Patriarchat verhält sich anders. "Unsere Priester dürfen zwar zu den Demonstrationen gehen, aber nur als Bürger und nicht als Kirchenleute", sagte der DW Grigori Kowalenko, Sprecher der Kirche des Moskauer Patriarchats. Er bestreitet jedoch, dass dies aus Anweisung aus Russland passiere. "Es gibt keinerlei Einfluss auf uns aus Moskau", sagt er.

Pressesprecher der Ukrainischen Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats, Grigori Kowalenko (Foto: DW)
Grigori Kowalenko: Keine Beeinflussung der Kirche aus MoskauBild: DW/R. Goncharenko

Gemeinsamer Aufruf zu friedlichen Protesten

Immerhin haben beide Kirchen vor wenigen Tagen eine gemeinsame Erklärung verbreitet. Darin haben sie das Recht der Bürger auf Demonstrationen bekräftigt, beide Seiten vor Gewalt gewarnt und zu Gebeten aufgerufen. Vorher wandte sich die Kirche des Moskauer Patriarchats in einer eigenen Erklärung an die Regierung und den Präsidenten und warnte vor einer Spaltung des Landes.

Dass die aktuellen Proteste helfen, die Spaltung von Land und Kirche zu überwinden, gilt als unwahrscheinlich. Studenten aus Lwiw, die in das Michaelskloster zum Gebet gehen, glauben jedenfalls nicht daran. "Russland würde niemals eine unabhängige ukrainische Orthodoxie anerkennen", sagt der junge Andrij. Der Sprecher des Kiewer Patriarchats Jewstratij ist optimistischer. Sollten die Regierungsgegner jetzt die Oberhand gewinnen, würde das seine Kirche gleich "mehrere Schritte" in Richtung Anerkennung durch Moskau führen.