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Visionen für Kongos Nationalpark

Simone Schlindwein29. Juni 2015

Ein belgischer Prinz und ein amerikanischer Milliardär wollen einen der ältesten Nationalparks Afrikas retten - eine lebensgefährliche Mission. Simone Schlindwein berichtet aus dem Ostkongo.

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Bildergalerie Virunga-Park Demokratische Republik Kongo
Bild: WWF/Brent Stirton

Der Virunga-Nationalpark im Osten der Demokratischen Republik Kongo ist das älteste Naturschutzgebiet Afrikas: ein UNESCO Welterbe und Heimat der bedrohten Berggorillas.

Der Park liegt inmitten eines dicht besiedelten Gebietes, rund vier Millionen Menschen leben hier, die meisten vom Ackerbau. Die Felder an den Hängen der Hügel sind bestellt: Bohnen, Zwiebeln, Blumenkohl. Die vulkanische Erde ist fruchtbar. Jenseits der Äcker erhebt sich jetzt eine Mauer mit Stacheldraht. Ein Schild weist daraufhin: Hier haben Menschen nichts zu suchen.

Balanceakt zwischen Mensch und Natur

Der Nationalpark wurde 1925 unter den belgischen Kolonialherren errichtet, um ihn zu schützen. Die einzigartige Natur und Artenvielfalt sollte der Weltgemeinschaft erhalten bleiben, berichtet Parkdirektor Emmanuel de Merode.

Der 46-Jährige ist ein echter Prinz der belgischen Königsfamilie, die den Park gegründet hat. Der Anthropologe wurde von Kongos Regierung angestellt, den Balanceakt zu meistern, die Natur zu schützen sowie den Menschen zu dienen. "Doch in Wirklichkeit ist es die lokale Bevölkerung, die dafür den Preis zahlt", gibt de Merode offen zu. Diesen Preis könne man ausrechnen, sagt er. "Der Park umfasst knapp 4.000 Quadratkilometer. Davon ist die Hälfte sehr fruchtbarer Boden, gut für Ackerbau. Eine kongolesische Großfamilie kann im Monat rund 600 Dollar aus ihren Feldern erwirtschaften. Das reicht gerade so zum Überleben." Doch der Park nehme ihnen Land weg im Wert von rund 600 Millionen Dollar. "Und das auch noch in einem der ärmsten Länder der Welt. Das ist extrem ungerecht", sagt de Merode.

Gleichzeitig hat auch der Virunga-Verwalter enorme Geldprobleme, um den Naturschutz zu unterhalten: Fünf Millionen Dollar verschlingt der Park pro Jahr. Davon stammen nur fünf Prozent aus der Staatskasse. Der Rest wird über Spendengelder finanziert.

Parkdirektor Emmanuel de Merode Foto: Brent Stirton/Getty Images
Parkdirektor Emmanuel de MerodeBild: Getty Images

De Merode hat Ideen, wie sich diese Situation ändern ließe. Seit 2009 spielt er mit der Idee, Kongos Tourismussektor auszubauen. "Vor allem mit dem Fokus, eine bedeutende Zahl von Arbeitsplätzen zu schaffen", erklärt er und nennt Beispiele aus anderen Ländern der Region: In Kenia umfasse der Tourismussektor 3,5 Milliarden Dollar. Das seien 100 Millionen Dollar mehr als der ganze kongolesische Staatshaushalt pro Jahr zur Verfügung hat. "Kongos Nationalpark hat das Potenzial, ebenfalls solche Summen einzuspielen, wenn hier eine stabile Entwicklung stattfindet und die Ressourcen gut verwaltet werden", sagt er.

Naturschutz – eine lebensgefährliche Mission

De Merode sitzt in einem Restaurant in Ostkongos Provinzhauptstadt Goma. Er trägt eine Uniform wie seine 500 Parkwächter, deren oberster Kommandant er ist. Sie sind unabhängig von der Armee. Doch müssen ähnliche Aufgaben übernehmen. Im Virunga herrscht regelrecht Krieg. Dabei geht es auch um Rohstoffe: Die britische Ölfirma SOCO hat Öl entdeckt, wollte Testbohrungen unternehmen. Kongos Regierung hat der Firma Lizenzen erteilt. Doch das Naturschutzgesetz verbietet dies. Ein Widerspruch, gegen den de Merode ins Feld zog – und dabei fast mit dem Leben bezahlte. Er wurde im Auto angeschossen als er von Goma in den Park fuhr.

Mit dem Geländewagen wird der Parkdirektor vom Hotel abgeholt. Seine Leibwächter steigen auf die Ladefläche, die Waffen im Anschlag. Rund 30 Kilometer nördlich liegt die Parkverwaltung. Dort lebt und arbeitet de Merode. Derzeit ist er viel unterwegs, trifft sich weltweit mit Umweltschützern. Jüngst hat eine Londoner Produktionsfirma einen Film über den Virunga-Park gedreht, der es bis in die engste Auswahl der Oscar Verleihungen in Hollywood geschafft hat. Ein Film, der die Welt aufrütteln soll.

Gorilla Silberrücken im Virunga-Nationalpark Foto: Simone Schlindwein
Seltenes und schützenswertes Schauspiel: Silberrücken im Virunga-NationalparkBild: DW/S. Schlindwein

Entlang der Straße liegen zerstörte Panzer. Bis vor eineinhalb Jahren war der Virunga ein Schlachtfeld. Die Tutsi-Rebellen der Bewegung des 23. März - kurz M23 - hatten ihr Hauptquartier neben der Parkstation errichtet, kamen abends in die 5-Sterne-Lodge, zum Wiskeytrinken. De Merode musste sich mit ihnen arrangieren. Der Plan, den Tourismus aufzubauen, war erst einmal dahin. Gleichzeitig machte sich die Ölfirma SOCO daran, Testbohrungen zu unternehmen. Da kam de Merode eine Idee.

Wasserkraft und Jobs für Rebellen

Zwei Flüsse rauschen zwischen den Vulkanbergen ins Tal hinunter. Sie sind kraftvoll genug, um Strom zu erzeugen. Elektrizität für den Hausgebrauch ist eine seltene Ressource. Mit Wasserkraft lasse sich die wirtschaftliche Entwicklung voranbringen oder gar Industrie ansiedeln, sagt de Merode. Er will ein Wasserkraftwerk bauen. "Wir wollen diesen Strom zu einem fairen Preis verkaufen. Die Hälfte der Einnahmen wollen wir in Projekte investieren, die der Bevölkerung zu Gute kommen." Er hat eine Machbarkeitsstudie durchgeführt, die besagt: Pro Megawatt würden 1000 Arbeitsplätze entstehen. Bis Ende dieses Jahres seien knapp 50 Megawatt geplant. Das könnte dann laut Hochrechnung bis zu 50.000 Arbeitsplätze schaffen."

Jobs tragen zur Stabilisierung der Region bei, denn bis zu 8000 Rebellen brauchen Arbeit - so seine Überlegung. "Meine Vision ist es, bis zum Jahr 2021 bis zu 100 Megawatt zu produzieren, das wäre 100.000 Arbeitsplätze. Damit jeder junge Mann einen Job bekommt und nie wieder zur Waffe greifen muss und wir im Endeffekt die Wirtschaft wieder in Gang bekommen."

Doch welcher Investor würde mitten in Kriegszeiten investieren? Da kam aus den USA ein rettender Engel eingeflogen: Der Milliardär Howard Buffet, dessen Vater Graham Buffet Teile seines Vermögens durch Investitionen in die Getränkefirma Coca Cola erwirtschaftet hat. Sohn Buffet ist leidenschaftlicher Agronom. Im Jahr 2012 besuchte er die von den Rebellen belagerte Parkstation.

Menschan auf einer Strasse in Rutshuru Foto: Simone Schlindwein
Rutshuru: dicht besiedelte Insel im NationalparkBild: DW/S. Schlindwein

"Es gab zwei Schlüsselmomente", erzählt Buffet via Skype aus den USA. Der eine war ein Abend mit Emmanuel in der Parkstation 2012. "Wir sprachen über das Wasserkraftwerk. Ich wollte zehn der insgesamt 20 Millionen Dollar investieren. Die andere Hälfte sollte von anderen Investoren kommen. Doch dann ließen sie Emmanuel hängen. Er war so enttäuscht. Und ich erinnere mich, wie ich mich zurück lehnte und sagte 'aber wir müssen das Projekt unbedingt machen'. Also habe er das komplette Wasserkraftwerk finanziert. Denn es sei so wichtig für die Region und könne das Leben der Menschen signifikant verändern.

Der zweite Moment geschah als Buffet bei seinem nächsten Besuch 2013 vom Flughafen in Goma zur Parkverwaltung hinauf fuhr. Damals kontrollierten die Rebellen der M23 das Gebiet. "Das eine Mal wirkte alles normal. Die Leute gingen ihrem Alltag nach. Als ich wenige Monate später wiederkam, sahen die Siedlungen aus wie Geisterdörfer. Alle wurden vertrieben", erzählt er.

Rutshuru - eine dicht besiedelte Insel inmitten des Parks

Passiert man die Begrenzungsmauer wird der Wald urtümlicher. Doch nur wenige Kilometer weiter sieht man wieder Maisfelder, Holzhütten und Frauen, die Feuerholz aus dem Park schleppen. Der Verwaltungsbezirk Rutshuru liegt wie eine Insel inmitten des Nationalparks.

Rutshuru wirkt auf den ersten Blick friedlich. Noch bis vor eineinhalb Jahren haben die Rebellen der M23 Rutshuru belagert. Im November 2013 wurden sie besiegt. Heute sieht man Polizisten umherspazieren. Ein kleines bisschen Staatlichkeit im unbeherrschbaren Osten dieses gewaltigen Landes. Leonard Nyarubwa ist Professor für Geografie an der Universität von Rutshuru. Er ist Vertreter der größten ethnischen Volksgruppe: den Hutu.

Fischer im Edward-See Foto: Brent Stirton/Getty Images
Menschen sind abhängig vom Ressourcenreichtum des VirungaBild: Brent Stirton/Getty Images for WWF-Canon

Als der Park vor 90 Jahren von den Belgiern gegründet wurde, war die Bevölkerungsdichte noch gering, erklärt Nyarubwa. Man hatte damals die Grenzen des Parks gezogen und auch ein Jagdgebiet angelegt. Dort durften die Männer jagen gehen, um Fleisch zu bekommen. Alle waren einverstanden. Doch in den vergangenen Jahrzehnten ist die Bevölkerung in Rutshuru explodiert. Die Menschen drangen in den Park ein. Sie fällten Bäume um Äcker anzulegen, auch in dem Jagdgebiet.

Es seien vor allem Vertreter der Ethnie der Nande, die aus dem Norden eingewandert waren und traditionell kein Land in Rutshuru hatten. Die Parkverwaltung hat sich auf einen Kompromiss eingelassen: Sie gibt die Hälfte des Jagdgebiets an die Bauern. Die andere Hälfte wird eingezäunt und als Naturschutzgebiet erhalten. Doch diese Vereinbarung führe jetzt zu Konflikten zwischen den Volksgruppen, erklärt Nyarubwa: "Ursprünglich war ganz Rutshuru Land der Hutu. Wir, die Hutu, haben unser Land dem Park gegeben und nicht den Nande! Die Parkverwaltung soll die Nande-Bauern evakuieren, denn wir sind nicht einverstanden", sagt er.

Vor dem Haus führt die Handelsstraße von Uganda nach Goma durch Rutshuru. Benzin, Zement und Haushaltwaren werden importiert. Die Insellage macht den Transport zu einem lebensgefährlichen Unterfangen. Für die Bevölkerung ist der Park eine Quelle von Unsicherheit – und kein Motor der Stabilisierung, sagt Innocent Gasigwa, Sprecher einer Menschenrechtsorganisation in Rutshuru.

Nach dem Sieg über die M23-Rebellen 2013 hatte die UN-Mission im Kongo (MONUSCO) Rutshuru zu einer sogenannten "Insel der Stabilität" erklärt. Ein Konzept der UNO, wieder Staatlichkeit inmitten der Anarchie herzustellen. "Doch davon haben wir noch nicht viel bemerkt", klagt Gasigwa: "Nur weil es jetzt keinen Krieg mehr gibt, heißt es noch nicht, dass wir hier Frieden haben in Rutshuru", sagt er. Die Menschen seien nicht sicher, wenn sie auf ihre Felder gehen. Die Frauen würden vergewaltigt, die Männer entführt und Lösegeld erpresst. Militäroperationen wurden gestartet und die Rebellen wären in alle Richtungen geflohen, die meisten in den Park, von wo aus sie Übergriffe begehen. "Man versucht also, ein Problem zu lösen und schafft damit drei oder vier neue Probleme", sagt Gasigwa.

Vulkan Nyiragongo im Kongo
"Für nachfolgende Generationen erhalten": der Virunga-NationalparkBild: picture alliance/Mary Evans Picture Library/W. Warren

Die Kongolesen fragen, warum die Weltgemeinschaft Gelder bereitstellt, die Natur und Tiere zu retten wenn die Menschen in Gefahr sind - ein Dilemma, aus welchem de Merode und Buffet Auswege suchen. Jetzt wird enorm viel Geld in den Virunga investiert. Doch Frieden schaffen ist kein simples Zahlenspiel.