Wie ein Dorf bei Sotschi unter Olympia leidet
27. Januar 2014"Wie? Achschtyr? Wo ist das?" Die Navigationsgeräte in Sotschis Taxis finden den Ort nicht. Er liegt an einem Berghang im Bezirk Adler an der Grenze zu Abchasien. In dem Dorf leben nur 70 Menschen. Von den Olympischen Winterspielen profitiert in der Region rund um Sotschi so mancher - es gibt Großaufträge für lokale Unternehmen und vor allem Arbeit. Viele Menschen sind auch von dem neuen großen Wintersportgebiet mit moderner Infrastruktur begeistert. Doch die Bewohner von Achschtyr haben nichts, worauf sie mit Freude blicken können.
"Nichts bringen uns die Spiele. Früher habe ich das Wasser des Flusses Msymta getrunken und dort Lachse gefangen. Und nun?", sagt wütend Ilja Samesin, der schon lange in dem Dorf lebt. Er schaut auf das gelblich trübe Wasser des Flusses, der entlang der olympischen Anlagen in Krasnaja Poljana fließt. "Man kann jetzt aus dem Fluss nur noch Bauschutt fischen", klagt er im Gespräch mit der Deutschen Welle.
Nichts ist, wie es einmal war
Als in Sotschi im Jahr 2008 der Bau der großen Olympia-Anlagen begann, änderte sich das Leben der Menschen in Achschtyr dramatisch. Das Dorf war früher von nahezu unberührter Natur umgeben. Doch das Gebiet verlor im Rahmen der Vorbereitungen auf die Spiele seinen Status als Nationalpark. Rund um Achschtyr entstanden daraufhin Steinbrüche und Halden. Es begann der Transport von Steinschutt über eine provisorische Trasse aus Beton, entlang der einzigen Hauptstraße des Dorfes. Der Bau einer Bahnstrecke und einer Autobahn von der Meeresküste nach Krasnaja Poljana, hoch in den Bergen gelegen, zerstörte auch die Uferlandschaft des Flusses Msymta. Zahlreiche alte Bäume wurden gefällt.
Vor allem der Bauschutt wurde zum Problem. Die Schutthalden entlang der Straße in Achschtyr türmten sich höher als die Schilder, auf denen geschrieben steht, dass Müllabladen in einem Wasserschutzgebiet verboten ist. Die Mitarbeiterin der Organisation "Umweltwache Nordkaukasus", Olga Noskowez, macht in diesem Zusammenhang auf ein weiteres großes Problem aufmerksam: In Steinbrüchen werde unkontrolliert Schutt und Müll einfach abgeladen und mit Erdreich zugekippt, kritisiert sie im Gespräch mit der DW.
Kein Wasser, keine Straße
Die Müll- und Schuttprobleme seien nicht einmal das Schlimmste, meinen die Menschen in Achschtyr. Viel schlimmer sei, dass es im Dorf kein eigenes Trinkwasser mehr gebe. Früher habe man es Brunnen entnommen. Aber als man begonnen habe, die Baugruben auszuheben, sei das Wasser verschwunden. "Unser Boden ist wie ein Schwamm. Jetzt stehen hier Baumaschinen, die hunderte Tonnen schwer sind", erklärte Ilja Samesin. Seitdem müsse das Dorf mit Wasser beliefert werden. Es reiche aber nur für die Menschen, nicht für die Nutztiere. Viele Bewohner hätten deswegen ihr Vieh abgeben müssen.
Absurd ist auch, dass Achschtyr nur einen halben Kilometer von der neuen Autobahn entfernt ist, die Dorfbewohner die Straßenverbindung aber nicht nutzen können, weil es keinen Anschluss gibt. Und die Fußgängerbrücke über den Fluss in das Nachbardorf, von wo aus man mit einem Bus in die Stadt fahren kann, ist baufällig und fast schon lebensgefährlich. "Vor drei Jahren hat der Bürgermeister vor Fernsehkameras versprochen, dass wir Wasser und einen Anschluss an die Straße nach Krasnaja Poljana bekommen", erzählt llja Samesin. Passiert sei aber nichts.
Menschen kritisieren Bürgermeister
Erst vor kurzem besuchte Sotschis Bürgermeister Anatolij Pachomow wieder die Menschen in Achschtyr. An den Tag verschwanden fast alle Müllberge. Pachomow versprach, den größten Steinbruch bald stillzulegen und die Betontrasse neben dem Dorf so instandzusetzen, damit sie sicher als Straße genutzt werden könne. Darüber hinaus versicherte er, die Busverbindung wieder einzurichten, die im Jahr 1991 gestrichen worden sei. Zudem betonte der Bürgermeister, dass inzwischen eine Gasleitung in das Dorf verlegt worden sei. Doch viele der armen Dorfbewohner beklagen, dass ein Anschluss ihrer Privathäuser an die Gasleitung viel zu teuer sei.
Bei dem Treffen wurde vereinbart, dass eine eigens geschaffene Arbeitsgruppe eine neue Trinkwasserquelle in der Nähe des Dorfes suchen soll. Vorerst sollen Fahrzeuge täglich Trinkwasser nach Achschtyr bringen. Aber viele Bewohner in Achschtyr sind skeptisch. "Nichts wird sich ändern", meint die Rentnerin Ella Sanginowna. Andere Bewohner betonen, Bürgermeister Anatoli Pachomow habe schon früher Versprechungen gemacht, aber sein Wort nicht gehalten.