Die Uhr tickt für Katar
21. November 2017Der Erfolg der Fußball-WM in Katar könnte von einem Ereignis abhängen, dass derzeit mehr als 10.000 Kilometer entfernt vom Austragungsort stattfindet: Beim FIFA-Prozess in New York geht es dieser Tage um Schmiergeldzahlungen an hochrangige Fußball-Funktionäre und dabei fällt auch immer wieder ein Begriff - "Q2022", die Kurzform für Qatar 2022 (englische Schreibweise).
So sollen zwei Funktionäre, die in den Akten unter den Codenamen "Benz" und "Toyota" geführt wurden, sechsstellige Beträge mit dem Verwendungszweck "Q2022" erhalten haben. Hinter "Benz" steckt Rafael Esquivel, der ehemalige Verbandspräsident Venezuelas sowie Luis Chiriboga, Ex-Präsident des Fußballverbandes von Ecuador. Esquivel soll laut Prozessakten 640.000 Euro und Chiriboga 425.000 Euro erhalten haben. Die Gegenleistung ist unklar. Der Zweck "Q2022" erscheint schleierhaft, da beide Funktionäre nicht dem Exekutivkomitee des Weltverbands FIFA angehörten, das die Endrunde an Katar vergeben hat. Doch Zweifel bleiben. Denn eines haben die Enthüllungen rund um die Korruption in der FIFA gezeigt: Sehr viele Personen haben finanziell von den Schmiergeldern profitiert und sehr viele Personen haben das System folglich auch mitgetragen.
Eine Millionen Dollar für eine Stimme?
Auf den Tag genau fünf Jahre vor dem Anstoß des Eröffnungsspiels der WM 2022 in Katar stellt sich daher vor allem eine Frage: Hätte das Turnier überhaupt in den Golfstaat gehen dürfen? Folgt man der Aussage von Alejandro Burzaco ganz sicher nicht. Der frühere Chef einer argentinischen Sportmarketingfirma ist ein wichtiger Zeuge im FIFA-Prozess und sprach deutliche Worte: "Grondona hat für seine Katar-Stimme eine Million Dollar bekommen." Gemeint ist der inzwischen verstorbene Argentinier Julio Grondona, der bis zu seinem Tod 2014 FIFA-Vizepräsident war. Neben ihm sollen auch der Brasilianer Ricardo Teixeira und der Paraguayer Nicolas Leoz Millionenbeträge erhalten haben - als Gegenleistung für ihre Stimmen für die WM in Katar. Das Emirat gewann 2010 die Wahl im dritten Durchgang gegen die USA mit 14:8 Stimmen - offenbar auch, weil mindestens ein Funktionär plötzlich sein Wahlverhalten änderte.
"Grondona sagte mir, dass Leoz erst für Japan und dann für Südkorea gestimmt hat", erzählte Zeuge Alejandro Burzaco unter Eid von den Vorgängen der WM-Vergabe. "Während einer Pause zogen Grondona und Teixeria Leoz beiseite, um ihn aufzurütteln, fragten: 'Was zum Teufel machst du? Sind Sie derjenige, der nicht für Katar votiert?' Bei der nächsten Abstimmung unterstützte Leoz Katar." Hat Katar die WM also mit Bestechungsgeldern gekauft? Nach den jüngsten Entwicklungen beim Prozess in New York ist das möglich, bewiesen ist es nicht. Schon 2010 gab es eine Enthüllung durch die "Sunday Times", wonach zwei Mitglieder des Exekutivkomitees für die Vergabe der Weltmeisterschaften 2018 und 2022 ihre Stimmen zum Verkauf anboten, gefilmt mit versteckter Kamera.
Arbeitsbedingungen sollen sich gebessert haben
In Katar gibt man sich demonstrativ gelassen. "Wir machen uns keine Sorgen, weil wir von der Integrität unserer Bewerbung überzeugt sind", sagte Hassan Al-Thawadi, der Generalsekretär des WM-Organisationskomitees. In der 26. Etage des imposanten Al-Bidda-Hochhauses zeigte er sich unbeeindruckt von den jüngsten Zeugenaussagen in New York. "Es gibt in dem Transkript der Zeugenaussage einen sehr wichtigen Punkt - für die Anschuldigungen gibt es keine Beweise." Dass die Katar-Bewerbung vollkommen rechtmäßig abgelaufen sei, habe zudem schon der "Garcia-Report" bewiesen. "Der Prozess hat nichts mit unserer WM zu tun. Wir sind nicht Teil der Untersuchung, gegen uns wird nicht ermittelt", sagte Al-Thawadi.
Die Korruptionsvorwürfe sind fünf Jahre vor dem Turnierstart nicht das einzige Problem der Gastgeber. Berichte über die schlechten Arbeitsbedingungen für die Gastarbeiter auf den Baustellen im Vorfeld der WM haben in den letzten Jahren eklatante Missstände gezeigt. Arbeiter aus dem Ausland wurden für Hungerlöhne, die teilweise gar nicht gezahlt wurden, beschäftigt und dass zum Teil unter gefährlichen Bedingungen. Nun habe sich die Lage der Gastarbeiter aus mehr als 100 Ländern deutlich verbessert, so die Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen ILO, die von einer "ermutigenden Entwicklung" sprach. Inzwischen soll in Katar ein Mindestlohn (166 Euro) gelten, ebenso wird eine Krankenvorsorge eingeführt.
Im Konflikt mit den Nachbarn
Katar sieht sich allerdings auch wachsendem politischen Druck seiner Nachbarn ausgesetzt: Eine Reihe von Ländern, die von Saudi-Arabien angeführt werden, Wirtschaftsembargos und Reiseverbote gegen Katar verhängt. Doch diese hätten keine großen Auswirkungen, hieß es von den WM-Veranstaltern. Nur zwei Prozent aller Güter seien aus den anderen Golfstaaten für die Stadien importiert worden, heißt es. Ersatz sei schnell gefunden worden, beispielsweise in der Türkei, von wo auch Lebensmittel nach Doha geflogen werden.
So bleibt hinter dem Fußballturnier, das für Katar "nicht nur eine Fußball-WM" ist, wie Al-Thawadi klar macht, ein Fragezeichen. Ob das Prestigeprojekt des Golfstaats tatsächlich in fünf Jahren stattfinden wird, wird davon abhängen, welche Enthüllungen im FIFA-Prozess noch zu tagen treten werden.