Thomas Tuchel – Fußballfachmann mit Ecken und Kanten
16. Oktober 2024Thomas Tuchel ist ein Erfolgstrainer. Der 51-Jährige war bereits Champions-League-Sieger (mit dem FC Chelsea), deutscher Meister (mit dem FC Bayern), DFB-Pokalsieger (mit Borussia Dortmund), französischer Meister und Pokalsieger (mit Paris St. Germain). 2021 kürte ihn der Fußball-Weltverband FIFAzum "Welttrainer des Jahres".
Tuchel hat auch schon mit Weltstars zusammengearbeitet wie dem Brasilianer Neymar, dem Franzosen Kylian Mbappé und dem Italiener Gianluigi Buffon in Paris oder mit dem Briten Harry Kane bei den Bayern. Er ist also gewappnet für seine Arbeit als neuer englischer Nationaltrainer, als erster Deutscher auf diesem prestigeträchtigen Posten im Mutterland des Fußballs. Doch es gibt auch Brüche in Tuchels bisheriger Karriere, die vermuten lassen, dass sein Engagement bei den "Three Lions" nicht unbedingt ein Selbstläufer wird.
Spielerkarriere früh beendet
Tuchels Karriere als Fußballer endete früh. Bereits mit 24 Jahren musste der Verteidiger wegen schwerer Knieverletzungen die Fußballschuhe an den Nagel hängen. Über die zweite Liga kam er nicht hinaus. Ralf Rangnick, heute österreichischer Nationaltrainer, damals Coach von Tuchels Verein SSV Ulm, überredete ihn zu einer ersten Trainer-Hospitanz. Tuchel schloss auch ein Studium der Betriebswirtschaft erfolgreich ab. "Ich wollte mir beweisen, auch abseits des Fußballs eine Sache mit Ehrgeiz zu Ende zu bringen", sagte er einmal über sein Studium.
2007 beendete Tuchel seine Trainerausbildung beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) - mit der Note 1,4. Die erste Chance, sich in der Bundesliga zu beweisen, erhielt er 2009 beim FSV Mainz 05. Der Trainer galt schon damals als Tüftler und Perfektionist, regelmäßig sprach er von seinem "Matchplan". Unter Tuchel schafften es die Mainzer 2011 auf Tabellenplatz fünf, einen Europa-League-Startplatz. Mitte 2014 erklärte der Trainer überraschend seinen Rücktritt, obwohl er eigentlich noch einen Vertrag für eine weitere Saison hatte. Der Klub reagierte verstimmt.
Abschiede im Unfrieden
Mitte 2015 verpflichtete Borussia Dortmund Tuchel als Nachfolger von Jürgen Klopp, der noch im selben Jahr Trainer beim FC Liverpool wurde. Wie schon bei Klopps einstigem Verein Mainz wurde Tuchel auch in Dortmund oft mit dem charismatischen Erfolgstrainer verglichen. Von der Spielidee - beide bevorzugten schnellen, attraktiven Offensivfußball - mochte das stimmen, doch charakterlich hinkte der Vergleich. Hier der extrovertierte Klopp, immer einen flotten Spruch auf den Lippen, dort Tuchel, eher verschlossen, im Umgang zuweilen brummig.
Nach dem Sprengstoff-Anschlag eines Einzeltäters auf den BVB-Mannschaftsbus im April 2017, bei dem zwei Menschen verletzt wurden, kritisierte er offen die Klubspitze wegen deren Umgang mit dem Zwischenfall. Nach dem Saisonende trennte sich Borussia Dortmund von Tuchel, obwohl die Mannschaft gerade den DFB-Pokal gewonnen hatte.
Es folgte ein fußballfreies "Sabbatjahr" Tuchels, ehe er 2018 einen Vertrag beim französischen Topklub Paris St. Germain unterschrieb. Die Erwartungen an ihn waren hoch: Die Investoren aus Katar erwarteten von dem Deutschen nicht weniger als den ersten Champions-League-Triumph der Vereinsgeschichte. 2020 war Tuchel dicht dran, doch seine Mannschaft verlor das Finale gegen den FC Bayern mit 0:1. Ein halbes Jahr später war der Trainer seinen Job bei Paris St. Germain los. Das Verhältnis zur Vereinsspitze, Teilen der Mannschaft und den Fans sei zerrüttet, hieß es.
Höhepunkt mit Chelsea, unglückliche Zeit bei Bayern
Tuchel überwand auch diesen Karriereknick. Nur wenige Wochen nach seiner Entlassung heuerte er beim FC Chelsea an. Ende Mai 2021 gelang Tuchel, was ihm in Paris verwehrt geblieben war: der Triumph in der Champions League. Es war der bisherige Höhepunkt seiner Karriere. Doch auch bei dem Premier-League-Klub fand Tuchel nicht langfristig sein Glück. Im September 2022 entließ Chelsea den deutschen Trainer.
Ein halbes Jahr später kehrte Tuchel in die Bundesliga zurück: als Nachfolger des entlassenen heutigen Bundestrainers Julian Nagelsmann beim FC Bayern. Der Start verlief holprig. Die Münchener scheiterten im DFB-Pokal und in der Champions League - und um ein Haar auch in der Bundesliga: Erst am letzten Spieltag der Saison holten die Bayern im Mai 2023 äußerst glücklich den Titel, weil Borussia Dortmund die schon sicher geglaubte Meisterschaft verspielte. Eine Wende zum Guten war es nicht. In der folgenden Spielzeit blieben die Münchener erstmals seit 2012 ohne jeden Titel. Bereits im Februar 2024, drei Monate vor Saisonschluss, gaben der Verein und Tuchel bekannt, die Zusammenarbeit im Sommer zu beenden.
Nicht "Everybody's Darling"
Sein Privatleben hält Tuchel weitgehend unter Verschluss, in den sozialen Netzwerken taucht er kaum auf. Aus einer 2022 geschiedenen Ehe hat er zwei jugendliche Töchter. Ende 2023 zeigte sich Tuchel erstmals öffentlich mit seiner neuen Partnerin, einer Brasilianerin.
Tuchels große Fußball-Fachkompetenz ist unbestritten. Aber er ist eben nicht - wie Jürgen Klopp - "Everybody's Darling", sondern ein Typ mit vielen Ecken und Kanten, der unbeirrt seinen Weg geht. Er sei "ein schlechter Verlierer", räumte Tuchel einmal selbst ein. "Er ist ein Mensch, der sich ständig verbessern will", sagte sein ehemaliger Mainzer Spieler Bo Svensson. Wie Tuchels Auf-und-Ab-Vergangenheit bei seinen bisherigen Klubs gezeigt hat, kommt nicht jeder mit seiner Art klar. Insofern ist Tuchels Engagement als englischer Nationaltrainer nicht nur sportlich, sondern auch menschlich ein Experiment.