PEN klagt an: Autoren weltweit verfolgt
15. November 2021Jedes Jahr am 15. November, dem "Writers in Prison Day", macht der in London ansässige PEN International auf die Schicksale inhaftierter oder verfolgter Autoren aufmerksam. Erinnert wird auch an solche, die sterben mussten, weil sie ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrnahmen.
Erneut wählte die Schriftstellervereinigung Fälle aus, die beispielhaft für die Unterdrückung stehen. Mit seiner "Caselist" macht der PEN besonders auf die Schicksale der vier inhaftierten Autorinnen und Autoren Rahile Dawut (China/Xinjiang), Selahattin Demirtaş (Türkei), Mohamed Al-Roken (Vereinigte Arabische Emirate) sowie Maykel Osorbo (Kuba) aufmerksam. ″Weltweit ist die Bedrohung von Autoren und Schriftstellerinnen leider nicht weniger geworden", erklärte Ralf Nestmeyer, Vizepräsident und Writers-in-Prison-Beauftragter des deutschen PEN. ″Mit großer Sorge beobachten wir die Situation in all jenen Ländern, in denen die Meinungsfreiheit unterdrückt und Intellektuelle inhaftiert werden.“
Düsteres Bild der Meinungsfreiheit
Nach Recherchen des PEN zur uigurischen Minderheit wurde die Wissenschaftlerin Rahile Dawut mutmaßlich in der Volksrepublik China interniert.
Der türkische Politiker, Rechtsanwalt und Schriftsteller Selahattin Demirtaş sitzt seit 2016 hinter Gittern. In einem Verfahren wurde er wegen sogenannter Terrorpropaganda zu vier Jahren und acht Monaten Haft verurteilt. Weitere Verfahren gegen Demirtaş, der Ehrenmitglied des deutschen PEN ist, sind anhängig.
In den Vereinigten Arabischen Emiraten sitzt der Menschenrechtsanwalt Mohammed Al-Roken seit 2012 im Gefängnis. Ihm wird vorgeworfen, er habe eine geheime Organisation gegründet, um die Regierung zu stürzen. Der kubanische Rapper Maykel Osorbo ist seit Mai 2021 unter dem Vorwurf der "öffentlichen Unruhe" und "Widerstandes gegen Polizeibeamte" im Pinar del Río-Gefängnis inhaftiert.
Das Internationale Writers in Prison Committee in London zeichnet ein düsteres Bild der Lage der Meinungsfreiheit. Neben neuen Fällen führt die diesjährige Statistik auch Schicksale akut bedrohter Schriftstellerinnen und Schriftsteller auf, die sich jahrzehntelanger Justizwillkür ausgesetzt sehen. In der Türkei etwa liefen noch immer Gerichtsverfahren gegen mehrere Autorinnen und Autoren sowie über 40 Journalistinnen und Journalisten, die zwischen 2009 und 2010 verhaftet wurden, und erst Jahre später auf Bewährung freigelassen wurden. Ein Ende dieser Prozesse sei nicht abzusehen, so der PEN. In Eritrea seien fünf Schriftstellerinnen und Schriftstellern seit 2001 inhaftiert und ihr Verbleib unbekannt.
Wieder viele Journalistenmorde
Der PEN beklagt auch Morde an Journalistinnen und Journalisten und verweist auf Recherchen des Committees to Protect Journalists (CPJ). Demnach wurden 22 Medienschaffende wegen ihrer Berichterstattung umgebracht - doppelt so viele wie im Jahr zuvor. Mexiko und Afghanistan gehören weltweit zu den gefährlichsten Ländern für Journalistinnen und Journalisten.
Darüber hinaus seien 44 Schriftstellerinnen inhaftiert, vor Gericht gestellt, angegriffen oder bedroht worden, weil sie gegen Menschenrechtsverletzungen protestiert, Korruption aufgedeckt, ihre Regierungen kritisiert oder die Rechte von Minderheiten verteidigt hätten. So sei die Schriftstellerin und Menschenrechtsaktivistin Golrokh Ebrahimi Iraee im Iran unter beklagenswerten Bedingungen inhaftiert, weil sie in einer unveröffentlichten Kurzgeschichte die Steinigung einer Frau geschildert habe. In der Türkei muss sich nach jüngsten Berichten der Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk wieder vor Gericht verantworten, weil er den türkischen Staatsgründer Atatürk beleidigt haben soll.
Hermann Kesten-Preis für Irena Brežná
In Brasilien habe die Schriftstellerin Patrícia Campos Mello über eine mögliche illegale Finanzierung der Wahlkampagne des Präsidenten Jair Bolsonaro recherchiert, was zu falschen Beschuldigungen geführt habe. Das feministische Künstlerinnenkollektiv LasTesis aus Chile sah sich Gewaltvorwürfen ausgesetzt, nachdem es mit der russischen Punkband Pussy Riot für eine Videoproduktion zusammenarbeitete. Darin werden Polizeigewalt, die Zunahme von häuslicher Gewalt aufgrund der Pandemie und soziale Ungleichheit angeprangert.
Das deutsche PEN-Zentrum macht sich in diesem Tagen auch für den in London inhaftierten Gründer der Enthüllungsplattform WikiLeaks, Julian Assange, stark. Der investigative Journalist dürfe nicht an die USA ausgeliefert werden, verlangt die Schriftstellervereinigung und ernannte Assange kürzlich zu ihrem Ehrenmitglied.
Drei Tage nach dem "Writers-in-Prison-Day" übergibt der deutsche PEN in Darmstadt den diesjährigen Hermann Kesten-Preis an die Autorin Irena Brežná. Die mit 10.000 Euro dotierte Auszeichnung würdigt Persönlichkeiten, die sich im Sinne der Charta des internationalen PEN in besonderer Weise für verfolgte und inhaftierte Schriftsteller und Journalistinnen einsetzen.
Die Deutsche Welle informiert auf ihrer Sonderseite dw.com/freedomofspeech ebenfalls über die Lage von Schriftstellern, Verlegern, Bloggern und Journalisten.