Schweden gewinnt den ESC - Deutschland wieder Schlusslicht
14. Mai 2023Mit 39 Jahren ist Loreen eine erfahrende Profikünstlerin, doch ihr zweiter Sieg beim ESC trieb ihr dennoch die Tränen in die Augen. Die Schwedin mit marokkanisch-berberischen Wurzeln hatte mit ihrem Song "Tattoo" einen lupenreinen Soloauftritt hingelegt und überzeugte das Publikum sowie die Länderjurys gleichermaßen. Loreen ist erst die zweite Künstlerin nach Johnny Logan, der ein Doppelsieg gelungen ist.
Schon Wochen vor dem Finale des Musikwettbewerbs galt sie als haushohe Favoritin auf den Sieg - nach ihrem Triumph 2012. Damals gewann sie in Baku mit der Pophymne "Euphoria". Ihr größter Konkurrent in diesem Jahr, der Finne Käärijä, landete auf dem zweiten Platz, gefolgt von der israelischen Sängerin Noa Kirel.
Die deutsche Dark Rock-Band "Lord Of The Lost" belegte den letzten Platz und hat damit den Fluch der letzten Jahre, nämlich den des Schlusslichts für Deutschland , nicht brechen können. Zum letzten Mal war dies dem Sänger Michael Schulte 2018 in Lissabon gelungen - er wurde damals Vierter. Viel besser erging es an diesem Abend den Gastgebern auch nicht - das Vereinigte Königreich kam auf den vorletzten Platz.
ESC im Zeichen des Ukraine-Krieges
Das Duo Twortschi, das für die Ukraine antrat, kam auf den sechsten Platz. Den Titel konnten sie zwar nicht verteidigen, doch ihr Auftritt wird den meisten Zuschauerinnen und Zuschauern im Gedächtnis bleiben. Ihre moderne Elektropop-Nummer "Heart of Steel" bezieht Stellung gegen den Krieg, beschwört den Mut der Menschen angesichts einer nuklearen Bedrohung und wurde inspiriert vom Durchhaltevermögen der ukrainischen Soldaten im Stahlwerk Azovstal in Mariupol.
Die Gastgeber sorgten in Liverpool dafür, dass die Ukraine allgegenwärtig war. Das Motto hieß "United By Music", die Farben der Bühne und das begleitende Design wurden vom ukrainischen Blau-Gelb dominiert, kombiniert mit den Farben des Union Jack, der Flagge des Vereinigten Königreichs und dem knalligen Pink der kultigen Mütze des Sängers des Kalush Orchestra, den Siegern des ESC 2022. Die Briten als Zweitplatzierte im letzten Jahr sind mit dem Sender BBC als Gastgeber des ESC eingesprungen, da die Ukraine aufgrund des russischen Angriffskrieges auf ihr Land eine solche Veranstaltung nicht realisieren konnte.
Ukrainische Musikszene gewürdigt
Alle drei Shows - die beiden Semifinals sowie der Grand Final-Abend - warfen in ihren Rahmenprogrammen einen Blick auf die ukrainische Musikszene. Im Gedächtnis wird der Auftritt der Sängerin Aljosha aus dem ersten Semifinal bleiben, die eine sehr berührende und hoch emotionale Coverversion von Duran Durans "Ordinary World" gesungen hat, vor einem grandiosen Bühnenbild in blau-gelb.
Den Finalabend, den 7000 Menschen live vor Ort und etwa 180 Millionen Menschen weltweit am Fernseher verfolgten, eröffnete das Kalush Orchestra mit dem Siegertitel 2022 "Stefania", mit Unterstützung von Andrew Lloyd Webber und Herzogin Kate und sorgte gleich zu Beginn der Show für Gänsehaut. Durch das Programm führten neben den drei britischen Stars Hannah Waddingham, Alesha Dixon und Graham Norton die ukrainische Rocksängerin Julija Sanina, die auch oft von ihrer Landessprache Gebrauch machte.
Als musikalische Gäste waren neben den ukrainischen ESC-Stars Verka Serduchka, Jamala (Gewinnerin 2016), Tina Karol und Go_A weitere ehemalige Sieger zu sehen, darunter Duncan Laurence (2019) und Netta (2018), sowie viele weitere erfolgreiche ESC-Acts.
Alle zusammen trugen das "Liverpool Songbook" vor mit Hits von Bands und Künstlern, die aus der Musikstadt Liverpool stammen. Mahmood eröffnete mit einer orchestralen Version von John Lennons "Imagine".
Bei Duncan Laurences Version von "You never walk alone" von Gerry and The Pacemakers sang die komplette Halle mit - mit allen Künstlern vor, auf und hinter der Bühne - zugeschaltet waren Menschen aus Kiew, die ukrainische Flaggen schwenkten.
Mehr Show war gefragt
Insgesamt zeigte dieser ESC-Jahrgang, dass das Publikum es sehr gerne hat, wenn auf der Bühne richtig was los ist. Nur wenige Einzelkünstler und -künstlerinnen traten auf - darunter die Siegerin Loreen. Wenn nicht gerade eine ganz Band auftrat, so holten sich viele Acts eine Tanzgruppe oder einen Chor mit auf die Bühne. Diese wurde dominiert von einer riesigen Leinwand im Hintergrund, manche Projektionen ließen die agierenden Künstler im Vordergrund nahezu verschwinden.
Wer auf eins der legendären Trickkleiderwartete, die früher zum ESC einfach dazugehörten und heutzutage seltener geworden sind, der wurde an diesem Abend nicht enttäuscht - La Zarra aus Frankreich (16. Platz) stand als glitzernde Freiheitsstatue auf einem Turm - mit einem gut fünf Meter langen Rock, der während des Songs allerdings fiel.
Überhaupt: Die Zeiten der großen Diven, die mit dramatischer Geste schmachtende Balladen ins Publikum schmettern, sind vorbei. Pop ist schwer gefragt, tanzbar muss er sein, das zeigt unter anderem das gute Abschneiden des fröhlichen Songs von Gustaph aus Belgien (7. Platz).
Der nächste Eurovision Song Contest findet in Schweden statt - und damit hat das Land 2024 zum siebten Mal in der 67-jährigen ESC-Geschichte die Ehre, den größten Musikwettbewerb der Welt auszurichten. 1974 holte die Band ABBA die Trophäe zum ersten Mal nach Schweden.