Von Treibern zu Getriebenen
30. August 2021Je mehr ein Land mit der Weltwirtschaft verflochten ist, sei es durch Industrie, Handel oder Tourismus, desto größer ist der potenzielle Schaden durch die Corona-Pandemie. Deutschland und andere reiche Länder haben versucht, diesen Schaden durch gewaltige Hilfs- und Konjunkturpakete abzumildern.
Die Schwellenländer sind dazu meist nicht in der Lage. "Es fehlen ihnen die Ressourcen", sagt Klaus Jürgen Gern, Experte für die internationale Konjunktur beim Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW). "Gemessen an der gesamtwirtschaftlichen Produktion sind ihre Staatseinnahmen meist niedriger. Auch können sie sich an den internationalen Kapitalmärkten nicht im gleichen Maße verschulden wie die Industrieländer."
Keine Katastrophe
Trotzdem ist die große Katastrophe ausgeblieben, die zu Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020 befürchtet wurde. Damals zogen Anleger im Rekordtempo ihr Kapital aus den Schwellenländern ab, es drohte die Gefahr, dass die Länder finanziell ausbluten. Doch nach dem ersten Schock normalisierte sich die Lage wieder.
Zu verdanken war das auch dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank, die viel Geld zur Verfügung stellten. "Damit haben sie den Kapitalmärkten die Angst genommen, dass es im Zuge der Krise zu Staatsinsolvenzen kommen könnte", so Gern zur DW. Außerdem waren die Renditen in den Industrieländern so niedrig, dass die kurzfristig verschreckten Anleger kaum Alternativen für die Geldanlage hatten.
Inzwischen geht jedoch wieder die Angst um. Weil in den USA die Inflation steigt, könnte die US-Notenbank Fed in absehbarer Zeit ihre Zinsen erhöhen. "Für Schwellenländer besteht dann die Gefahr, dass es zu einem starken Anstieg der Kapitalkosten und zu einer Kapitalflucht kommt", sagt Clemens Fuest, Direktor des Münchner Ifo-Instituts, im DW-Gespräch.
Zinsängste
In den Jahren nach der Finanzkrise war das bereits mehrfach zu beobachten, etwa 2012/13 oder 2015/16. Wenn Kapital aus den Schwellenländern abgezogen wird, lässt das dort die Währungen abstürzen und es fehlt Geld für Investitionen.
Insgesamt seien diese Risiken heute aber geringer als früher, auch weil die Schwellenländer inzwischen mehr Erfahrungen darin haben, mit dem Problem umzugehen, glaubt Fuest.
IfW-Forscher Gern weist allerdings darauf hin, dass die Schwellenländer ihre Schulden in den vergangenen zehn Jahren "dramatisch erhöht" hätten. "Vor der Finanzkrise ab 2008 betrug die Staatsverschuldung der Schwellenländer im Schnitt rund 30 Prozent der Wirtschaftsleistung. Jetzt sind es eher 65 Prozent." Wenn die Zinsen steigen, müsse also ein immer größerer Teil der Einnahmen für den Schuldendienst eingesetzt werden.
Dabei steht einigen Schwellenländern schon jetzt das Wasser bis zum Hals. So hat etwa der argentinische Peso seit Beginn der Pandemie gegenüber dem US-Dollar rund ein Drittel seines Wertes verloren, die Inflation liegt bei rund 50 Prozent.
Großes Minus
Auch ist in großen Schwellenländern wie Indien, Mexiko und Südafrika die Wirtschaft im Corona-Jahr 2020 zwischen sieben und acht Prozent geschrumpft. Anders als früher konnten sich die meisten Schwellenländer nicht vom globalen Trend abkoppeln und fielen als Wachstumsmotoren aus. Nach Berechnungen des IWF war der Wirtschaftseinbruch in den Schwellenländern ohne China sogar größer als in den Industrieländern.
Die Krise hat auch deutlich gemacht, dass die einst gefeierte Gruppe der BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) kaum noch Gemeinsamkeiten hat. Nur in China konnte die Wirtschaft im vergangen Jahr noch wachsen, in Russland hielt sich das Minus mit 3,0 Prozent noch in Grenzen.
In Brasilien kamen zu einem Minus von vier Prozent noch hohe Infektions- und Todeszahlen durch Covid sowie mit Jair Bolsonaro ein populistischer Präsident, der die demokratischen Institutionen im Land in Stress versetzt.
BRICS ohne Strahlkraft
Im kommenden Jahr wird die brasilianische Wirtschaft um weniger als zwei Prozent zulegen, schätzt der IWF - ein verheerender Wert für ein Land, das einst an der Schwelle zum Industrieland gesehen wurde.
Mangelnde politische Stabilität, oft auch mangelnde Rechtssicherheit - für Michael Hüther, Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) ist das ein Grund, warum der BRICS-Stern gesunken ist. Die Zeiten, "als man nur BRIC rufen musste und die Investoren sprangen", seien vorbei, so Hüther im Handelsblatt.
Ähnlich sieht die Prognose für Südafrika aus, das seit 2011 an den Treffen der Ländergruppe teilnimmt. "Hier kommen gleich mehrere Dinge zusammen", sagt Christoph Kannengießer, Hauptgeschäftsführer des Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft.
"Südafrika ist weltweit in Wertschöpfungsketten eingebunden und damit ähnlich verletzlich wie die europäischen Volkswirtschaften." Hinzu kamen mehrere strenge Lockdowns, die in der Ära des früheren Präsidenten Jacob Zuma angewachsende Korruption und politische Unruhen nach dessen Verhaftung.
Für die rund 600 deutschen Unternehmen im Land gebe es dennoch keinen Grund, sich zurückzuziehen. "Die deutsche Industrie, die ja dort sehr stark investiert ist, steht zum Standort Südafrika und ist grundsätzlich optimistisch", so Kannengießer zur DW.
Impfstoffverteilung
Die weitere Entwicklung hängt auch davon ab, ob die Pandemie kontrolliert werden kann. Weil es an Impfstoff fehlt, sind die Impfraten auf dem afrikanischen Kontinent bislang extrem niedrig, während in Deutschland und anderen Industrieländern bereits über Auffrischungsimpfungen diskutiert wird.
Die Frage, ob das "gerecht" sei, hält Kannengießer allerdings nicht für zielführend. Es müsse vielmehr darum gehen, den afrikanischen Kontinent unabhängiger zu machen von der Hilfe anderer. "Afrika muss in die Lage gebracht werden, die benötigten Impfstoffe selbst herzustellen. Das ist keine Frage von Patenten, sondern von Produktionskapazitäten."
Das allerdings kann nicht über Nacht geschehen. In der Zwischenzeit sollte Deutschland überlegen, überschüssige Impfstoffe nicht nur über die internationale Hilfsallianz Covax zu spenden, sondern auch bilateral. Nach den Erfahrungen des Afrika-Vereins habe Covax große Schwierigkeiten, jene Länder schnell zu versorgen, die den Impfstoff besonders dringend benötigen.