Olympia in Sotschi: Höher, größer, teurer
4. Februar 2014Im Vorfeld der Olympischen Winterspiele von Sotschi (7. bis 23. Februar) ist viel diskutiert worden. Horrende Kosten, Umweltsünden, Menschenrechtsverletzungen und Terrorwarnungen. Nur wenige Menschen sehen die Spiele von Sotschi in einem positiven Licht - herausragende sportliche Leistungen, emotionale Momente, freundliche Gastgeber und euphorische Zuschauer könnten das Bild von Sotschi aber noch korrigieren.
Russischer Gigantismus
Die Meldungen vor Beginn von Olympischen Spielen wiederholen sich turnusgemäß alle zwei Jahre wieder, wie die Spiele selbst: Rekordkosten, Rekordteilnehmerzahl, Rekordleistungen. Allerdings ist der Umfang der Ausgaben für die bevorstehenden Spiele in Sotschi enorm: Während die Organisatoren der Winterspiele 2010 in Vancouver mit rund 5,5 Milliarden Euro auskamen, wurden in Sotschi in acht Jahren Vorbereitungszeit mehr als 37,5 Milliarden Euro ausgegeben. Insgesamt rechnet man in Sotschi mit Gesamtkosten von über 50 Milliarden Euro.
Das Geld war nötig, um aus dem subtropischen Luftkurort einen Wintersportort zu machen. Ob die Ausgaben auch sinnvoll waren, steht auf einem anderen Blatt. Die Stadt liegt auf demselben Breitengrad wie der Ferienort St. Tropez an der französischen Mittelmeerküste. Im Winter wird es hier kaum kälter als drei Grad Celsius. Die Skigebiete liegen im Bezirk Krasnaja Poljana, Luftlinie rund 40 Kilometer landeinwärts vom Küstenort Sotschi auf einer Höhe von 600 Metern über dem Meeresspiegel. Bislang gab es hier nur einen Skilift und keine einzige Skipiste. Alle Wettkampfstätten mussten neu errichtet werden, dazu eine breite Autobahn- und Eisenbahntrasse durch den Wald. Die meisten Neubauprojekte sind im Nationalpark Sotschi entstanden, ein Naturreservat mit Weltnaturerbe-Status. Eine wertvolle Quellenlandschaft wurde zerstört, Müllkippen in Berge gebaut, Bären und Steinböcke vertrieben. Die Natur muss Olympia weichen. Und ein kleines Dorf nahe Sotschi hat infolge der Baumaßnahmen kein Trinkwasser mehr - dafür aber neue Schutt- und Müllhalden.
Angst vor Terroranschlägen
Spätestens seit den blutigen Selbstmordanschlägen von Wolgograd Ende Dezember sind die Sicherheitskräfte in Sotschi in Alarmbereitschaft. 34 Menschen vielen dem Bombenterror zum Opfer, Täter waren offenbar zwei Mitglieder einer Extremistengruppe aus Dagestan, die in einem Bekennervideo weitere Anschläge ankündigten. Russland begegnet dem, indem es die Zahl der Sicherheitskräfte für die Dauer der Spiele auf 100.000 Polizisten, Soldaten und Agenten fast verdreifacht haben. . "Durch Kontrollen, die in den Bergen stationierten Flugabwehrraketen und die eingesetzte Informationstechnik haben die russischen Behörden das Olympia-Gebiet zu einer wahren Festung gemacht“, sagte der US-Sicherheitsexperte Michael McCaul im Gespräch mit der russischen Zeitung Nowaja Gaseta.
Die US-Regierung, die den Organisatoren früh ihre Hilfe angeboten hatte, stationierte zwei Kriegsschiffe vor der ukrainischen Küste außerhalb russischer Hoheitsgewässer im Schwarzen Meer. An Bord sollen 600 Angehörige der US-Navy sein. Trotz mehrfacher US-Warnungen vor Terror in Sotschi teilte schließlich auch US-Präsident Barack Obama mit, dass er die Spiele in Sotschi für sicher halte: "Wir raten Amerikanern keinesfalls davon ab, an diesem unglaublich wundervollen Ereignis teilzunehmen", sagte er in einem Interview des TV-Senders CNN.
Augenwischereien und prominente Absagen
Neben der Sicherheit waren und sind auch die Menschenrechte in Russland eines der großen Themen im Vorfeld der Spiele. Das sogenannte Anti-Homosexuellen-Gesetz sorgte für internationale Reaktionen. Weniger Staub wirbelten indes ARD-Recherchen auf, wonach tausende Gastarbeiter aus Zentralasien systematisch ausgebeutet und um ihren Lohn gebracht wurden. IOC-Präsident Thomas Bach sagte, dass sich das IOC für die Arbeiter stark gemacht habe und kurzfristig 277 Millionen Rubel (6,1 Millionen Euro) an Löhnen nachbezahlt wurden. Experten bezweifeln aber, dass diese Zahlungen tatsächlich bei allen Gastarbeitern ankommen, da viele nicht einmal ein Bankkonto haben.
Auch zu den Rechten der Homosexuellen gab es eine Klarstellung: "Sexuelle Orientierung" sei Teil des Anti-Diskriminierungs-Prinzips der Charta, so Bach vor Journalisten in Sotschi. "Wir sind gegen jede Form von Ausgrenzung." Russlands Staatspräsident Wladimir Putin selbst hatte erst vor kurzem geäußert, dass Homosexuelle, die während der Olympischen Spiele zu Gast in Sotschi seien, sich entspannen könnten. Aber sie sollten doch bitte "die Kinder in Ruhe lassen".
Putins Charme-Offensive kurz vor den Spielen
Putin zeigte in der Öffentlichkeit ein Herz und begnadigte medienwirksam wenige Woche vor Beginn der Spiele zahlreiche Strafgefangene, darunter die Sängerinnen der Punk-Band Pussy Riot und der ehemaligen Öl-Milliardär Mihail Chodorkowski. Außerdem wurde eine Protestzone für politische Kundgebungen während der Olympischen Spiele eingerichtet. Sie liegt rund zwölf Kilometer abseits der Wettkampfstätten - nur wer seine Proteste vorher genehmingen lässt, darf hier demonstrieren.
Viele Politiker hatten schon zuvor angekündigt, der Eröffnungsfeier der Olympischen Spielen fernbleiben zu wollen. Darunter US-Präsident Obama, Frankreichs Staatspräsident François Hollande, Großbritanniens Ministerpräsident David Cameron, der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck und Regierungschefin Angela Merkel. 60 andere Staats- und Regierungschefs durch ihr Kommen Putin die Ehre. "Die Abwesenheit einiger Staats- und Regierungschefs bei der Eröffnungsfeier wird unsere Spiele in keinster Weise beeinflussen oder ihre Bedeutung verändern", wird Russlands NOK-Präsident Alexander Schukow in russischen Medien zitiert. "Olympia ist ein Fest der Sportler, sie sind wichtig, alles andere ist eine Zugabe"
Beeindruckende Zahlen
Rein sportlich können sich die Zahlen aus Sotschi sehen lassen: Auch hier scheint der alte olympische Leitspruch zu gelten: Altius, citius, fortius - höher, schneller, weiter. Das IOC hat das Programm erweitert und die Wettbewerbe um sechs neue Diszplinen erweitert. Neu hinzugekommen sind das Skispringen für Frauen, Ski-Halpipewettkämpfe für Damen und Herren, eine Mixed-Staffel im Biathlon, sowie Teamwettbewerbe im Rennroden und Eiskunstlaufen. Insgesamt werden in Sotschi 98 Goldmedaillen vergeben. Das ist neuer Rekord. Auch bei den teilnehmenden Nationen sind mit 86 so viele dabei, wie noch nie zuvor. Auch die Dopingproben erreichen Rekordniveau: 2453 Proben sind für Sotschi angekündigt. Zur Unzeit kommen da die Dopingfälle im russischen Biathlon-Team und die Entdeckung eines neuen Dopingmittels, das nach ersten Erkenntnissen offenbar von einem russischen Wissenschaftler vertrieben wird.
Die deutsche Olympiamannschaft gibt sich dagegen eher bescheiden. Mit dem kleinsten Team seit den Winterspielen in Nagano 1998 reist der deutsche Sport an. 153 Sportler sind nominiert, darunter so viele Frauen wie noch nie: Mit 77 Athletinnen gehen dabei erstmals mehr Frauen als Männer (76) auf Medaillenjagd. Ein Grund ist das Fehlen der deutschen Eishockeymannschaft der Männer, während das Team der Frauen am Start ist. 30 Medaillen - so viele wie in Vancouver - soll das deutsche Team holen, sagt Michael Vesper, Chef de Mission in Sotschi. Die besten Chancen haben traditionell die deutschen Rodler, außerdem erarbeitete sich Kombinierer Eric Frenzel mit zahlreichen Siegen die Favoritenrolle.
Eine Millionen Besucher werden erwartet
Für die Spiele sind rund 13.000 Journalisten akkreditiert. Die Zahl der Hotelbetten wird offiziell mit 40.000 angegeben. Der russische Sportminister Vitali Mutko rechnet mit mehr als einer Million Besucher. Gigantische Zahlen, zu denen auch der Weg des Olympischen Fackellaufs nach Sotschi passt: 65.000 Kilometer weit wurde das olympische Feuer durch alle 83 Regionen Russlands getragen - spektakuläre Abstecher inklusive: Die Fackel war unter anderem auch auf dem Grund des Baikalsees, am Nordpol und auf der Internationalen Raumstation ISS. Dass das Olympische Feuer auf seiner langen Reise durch Land, Luft, Ozean und Weltraum etliche Male ausging und neu entzündet werden musste, ist dabei hoffentlich kein schlechtes Omen.